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Der Kuss der Sirene

Der Kuss der Sirene

Titel: Der Kuss der Sirene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Hubbard
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lächelt mich an, doch ich wende mich ab. Jetzt allerdings blicke ich in die feindseligen Gesichter meiner Klassenkameraden, was genauso schwer zu ertragen ist.
    Also konzentriere ich mich auf Sienna, die versucht eine angemessene Sitzposition zu finden. Sie zieht die Schultern zurück und hebt das Kinn, als wäre sie die First Lady. Sie trägt heute sogar einen weinroten Blazer und darunter ein spitzenbesetztes Top. In diesen Klamotten und mit ihrem platinblonden Haar, das ihr in perfekt geföhnten Wellen über die Schultern fällt, könnte sie glatt als Nachrichtensprecherin durchgehen. Ihre mit rosa Lipgloss bepinselten Lippen öffnen sich und sie beginnt mit ihrem Monolog über Manhattan Prep. Ihr glänzendes Haar und die perfekt manikürten Fingernägel stehen in merkwürdigem Gegensatz zu den sachlichen Worten. Eine Ironie, die mich zum Schmunzeln bringt. Ich bin so abgelenkt, dass ich meinen Einsatz verpasse.
    Sienna hustet gekünstelt und ich bemerke, was passiert ist. »Oh! Äh, Manhattan Prep wurde von einer New Yorkerin über New Yorker geschrieben …« Ich rede weiter und weiter und es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Ich blättere eine rosa Karteikarte nach der anderen um, bis ich endlich bei der fünften Karte angekommen bin. »Deshalb müssen wir unter die Oberfläche schauen und die Motive der Autorin begreifen, um die wahre Botschaft zu erkennen.«
    Sienna strahlt, als ich mit diesen Worten ende. Wie eine Marionette tue ich alles, was ich soll.
    Â»Sehr schön. Gibt es irgendwelche Einwände?«
    Cole nickt. »Manchmal sollte das, was man an der Oberfläche sieht, aber auch wörtlich genommen werden, egal ob in der Literatur, im Fernsehen oder im wahren Leben.«
    Moment mal, wie bitte? Das hat Sienna aber nicht aufgeschrieben. Regungslos beobachte ich, wie sie sich nur mit Mühe beherrscht. Sienna mag keine Überraschungen.
    Â»Manchmal ist das, was du vor dir siehst, auch genau das, was du bekommst. Wenn die Charaktere als eingebildete, geltungssüchtige Snobs dargestellt werden, kann das nicht einfach bedeuten, dass sie genau das sind? Dann wäre der Versuch, zwischen den Zeilen zu lesen, reine Zeitverschwendung.«
    Was zur Hölle redet er da? Ich übernehme Siennas kerzengrade Haltung und den starren Gesichtsausdruck, damit niemand bemerkt, dass Coles Worte nicht einstudiert sind.
    Er macht eine Pause und sieht mich an, als wären wir die einzigen Personen in diesem Raum. Spricht er über mich? Was soll das? Ich lasse meine Maske fallen und rutsche unruhig auf dem Stuhl hin und her. Sienna ist noch das Inbild erstarrter Vollkommenheit.
    Â»Manchmal wollen die Menschen einfach glauben, was sie sehen, weil das viel einfacher ist. Aber das bedeutet nicht, dass es auch der Wahrheit entspricht.«
    Ich kaue auf meiner Lippe und blicke auf meine nächste Karte. Sollte ich ihn an dieser Stelle unterbrechen? Ich drehe mich um und lasse den Blick über die Gesichter meiner Klassenkameraden wandern. Da niemand verwirrt zu sein scheint, entspanne ich mich ein wenig. Sie haben keine Ahnung, dass Cole von Siennas Drehbuch abweicht.
    In diesem Moment fällt mir auf, dass Erik mich die ganze Zeit beobachtet. Als sich unsere Blicke treffen, wende ich mich ab.
    Cole räuspert sich und kehrt schließlich auf den vorgegebenen Pfad zurück. Er schaut nach unten und liest von den Karteikarten ab. Während er mit den vertrauten Sätzen fortfährt, schweifen meine Gedanken ab.
    Warum hat Cole das getan?

Kapitel 10
    Als ich an diesem Freitag den Küstenfriedhof betrete, bin ich verwirrter als je zuvor. Ich dachte, ich hätte in diesem Jahr alles unter Kontrolle. Mein ganzer Plan hatte nur eine Voraussetzung: Einsamkeit.
    Wenn ich niemanden in meine Nähe lasse, kann auch niemand verletzt werden, nicht einmal ich. Wenn ich mich nicht in das Leben anderer Menschen hineinziehen lasse, ist auch niemand in ernster Gefahr.
    Und ja, vielleicht bestrafe ich mich damit zum Teil auch selbst. Ich habe einen Jungen getötet und ich werde dafür bezahlen. Für alle Zeit. Ich muss nur die Highschool überstehen, dann kann ich aufs College wechseln und diese Stadt verlassen. Kann an irgendeinen Ort ziehen, an dem mich niemand kennt und an dem mich keine anklagenden Blicke verfolgen. Ich darf keine Freundschaften schließen. Ich muss für immer allein bleiben, denn das ist meine Strafe.
    Ich seufze, als mich

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