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Der Kuss der Sirene

Der Kuss der Sirene

Titel: Der Kuss der Sirene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Hubbard
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Doch bis jetzt bin ich mir noch über gar nichts klar geworden. Ich lege mich in den Sand und schaue zu den großen weißen Schäfchenwolken hinauf, die meine Stimmung so gar nicht widerspiegeln. Es ist Ebbe und das Meer zieht sich still vom Strand zurück. Möwen watscheln umher und picken Seetang und Muscheln auf, die im Sand zurückbleiben.
    Wenn ich nur schlafen könnte! Ich würde gleich hier im Sand ein Nickerchen halten. Das würde mich vielleicht sogar entspannen. Ich weiß kaum mehr, wie es war, als ich noch schlafen konnte. Kein Wunder, dass ich so ein Wrack bin. Ich lausche dem sanften Wellenrauschen, das nur hin und wieder von Vogelgekreisch unterbrochen wird. Ich könnte für immer hier liegen, bis die Flut kommt und mich davonträgt.
    Doch plötzlich fällt ein Schatten auf mich. »Es ist so friedlich hier draußen«, sagt Cole leise. Bei diesen Worten blickt er aufs Wasser hinaus.
    Â»Was machst du hier?«, frage ich, als würde das Meer mir gehören.
    Und das ist gar nicht so falsch. In einigen Mythen wird es so dargestellt, als herrschten die Sirenen über das Meer. Sie töten nur, wenn jemand die Grenzen ihres Reichs verletzt. Die Sirenen aus der griechischen Mythologie waren halb Mensch, halb Vogel. Sie besaßen Flügel und suchten die Meere nach ihrer Gefährtin Persephone ab, nachdem sie von Hades, dem Gott der Unterwelt, entführt worden war. Irgendwann gaben sie auf und ließen sich auf einer Insel nieder. Dort sangen sie ihre Lieder und lockten Schiffe an, die an der Küste zerschellten.
    Mit dieser Art Sirenen bin ich ganz sicher nicht verwandt. Ihr Gesang diente nur dazu, Persephone zu finden. Ich weiß nicht genau, was ich im Wasser singe, aber mit einer griechischen Göttin hat das sicher nichts zu tun.
    Es gibt eine Menge Geschichten über Sirenen und Meerjungfrauen. Keine von ihnen beschreibt mein Schicksal völlig richtig, aber in jeder steckt ein Funken Wahrheit. Hans Christian Andersen erzählt in seinem Märchen zum ersten Mal von einer Meerjungfrau, die sich an Land begibt. Doch jeder Schritt tut ihr so weh, als liefe sie über Glasscherben. Genauso fühle ich mich am nächsten Tag, wenn ich einmal eine Nacht nicht schwimmen konnte. Es heißt auch, Meerjungfrauen seien seelenlos, aber ich hoffe, dass das nicht stimmt.
    Ich habe ein ganzes Notizbuch zusammengetragen, aber nie einen Bericht gefunden, der meine Art richtig beschreibt. Nichts, was meinen Gesang erklärt. Ich empfinde eine erdrückende Einsamkeit. Wenn ich singe, verschwindet ein kleiner Teil dieser Einsamkeit, ich lasse ihn einfach davontreiben. Ich werde ruhiger, als ich es bei Tage je sein kann. Aber wenn der Zauber vorbei ist, holt mich die Wirklichkeit wieder ein. Dann hasse ich mich dafür, dass ich das Singen brauche.
    Â»Ich wohne gleich da, schon vergessen?«, sagt Cole und deutet hinter mich. Seine Worte holen mich auf den Boden der Tatsachen zurück.
    Ich setze mich überrascht auf. Es ist wahr: Ich habe mich direkt vor seinem Haus hingelegt. Ich war so tief in Gedanken versunken, dass ich nicht merkte, wie weit ich schon vom Parkplatz weg war und dass dort hinten, versteckt hinter Dünen und Schilfgras, Coles Elternhaus stand. Ich muss eine ganze Stunde gelaufen sein.
    Â»Oh, stimmt.«
    Ich will aufzustehen, doch Cole legt eine Hand auf meine Schulter. Auf einmal sitzt er neben mir, streift sich die Flipflops von den Füßen und gräbt die Zehen in den Sand.
    Ich unterdrücke einen weiteren Seufzer. Wir hocken so nah nebeneinander, dass wir uns fast berühren, und wenn ich ganz still sitze, sehe ich, wie sich seine Schultern heben und senken. Ein seltsam friedliches Gefühl ergreift Besitz von mir. Es hat etwas Beruhigendes, neben ihm zu sitzen und zu wissen, dass er mir nicht die Schuld an Stevens Tod gibt, obwohl ich weiß, dass er das sollte.
    Wir betrachten schweigend die Wellen, bevor er zu sprechen beginnt. »Ich liebe das Meer«, sagt er.
    Ich nicke, obwohl ich mir da nicht so sicher bin. Mein Körper liebt das Meer, doch in Wahrheit hasse ich es. Ich hasse den Ozean, das Wasser, alles. Wieder herrscht Schweigen zwischen uns.
    Cole krempelt die Hemdärmel hoch und entblößt seine Unterarme. Er greift nach einer Handvoll Sand und lässt ihn durch die Finger rieseln. Er ist nicht für den Strand angezogen. Ich bin überrascht, dass er sich überhaupt in den Sand gesetzt

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