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Der Kuss der Sirene

Der Kuss der Sirene

Titel: Der Kuss der Sirene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Hubbard
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Regen. Von den hohen Tannen fallen noch vereinzelt Tropfen, ich wische sie weg. Kaum kommt das Wasser in Sicht, beginne ich schon mich auszuziehen. Graue Wolken hängen am Himmel und weder die Sterne noch der Mond sind zu sehen.
    Ich wate ins seichte Wasser und tauche unter, die beißende Kälte spüre ich nicht. Als ich wieder an die Oberfläche komme, dringt wie von selbst der Gesang aus meiner Kehle.
    Aber irgendetwas kommt mir merkwürdig vor. Ich blinzele in den dunklen Nachthimmel. Es scheint, als würden sich die Schatten verändern. Ich wirbele herum und spähe in alle Richtungen. Ich lasse mich treiben, doch meine Melodie klingt nicht so kraftvoll wie sonst, sondern etwas verhalten. Und ich kann die Worte dazu nicht finden – als hätte mir diese Musik ein anderer eingegeben. Ich strample und runzele die Stirn. Das Wasser schwappt gegen meine Arme und mein Kinn. Ich zwinge mich, leiser zu singen. Das Wasser kommt mir auf einmal viel kälter vor. Was natürlich Blödsinn ist. Ich bin bloß dabei, verrückt zu werden. Unwillkürlich drehe ich mich um und spähe in den Wald.
    Augen. Nur wenige Meter entfernt entdecke ich ein Paar Augen unter dem Blätterdach. Augen, die mir vertraut sind. Es ist Erik. Mein Mund ist staubtrocken und mein Atem flach. Panik steigt in mir auf. Ich will nur noch abhauen.
    Wie lange steht er schon dort zwischen den Bäumen und beobachtet mich? Kann er das Schimmern meiner Haut aus dieser Entfernung erkennen? Aber wieso hat ihn mein Gesang nicht ins Wasser gelockt?
    Â»Was hast du hier zu suchen?«, rufe ich mit rauer Stimme.
    Statt einer Antwort starrt er mich nur weiter an, dann macht er plötzlich einen Schritt zurück.
    Â»Warum bist du hier?«, schreie ich.
    Er tritt noch einen Schritt zurück und dann noch einen und noch einen, bis er ganz im Schatten der Bäume verschwunden ist.
    Ich paddle zum Ufer, springe aus dem Wasser und schnappe mir meine Sachen. Ich renne, bis der See aus meinem Blickfeld verschwunden ist; im Laufen versuche ich mein T-Shirt überzuziehen. Als mein Kopf gerade drinsteckt, stoße ich gegen etwas Hartes. Ich schreie auf und falle hin. Hastig rapple ich mich wieder auf. Es war nur ein Baum.
    Ich schlüpfe schnell in meine Hose, die Schuhe behalte ich in der Hand. Ich rase zum Auto, lasse mich keuchend in den Fahrersitz fallen und schlage die Tür zu. Meine Brust hebt und senkt sich immer schneller, dennoch bekomme ich kaum Luft. Ich stecke den Schlüssel ins Zündschloss und starte den Motor. Kies spritzt auf, als ich davonbrettere.
    Es ist noch nicht einmal halb elf Uhr abends, aber ich kann heute unmöglich weiterschwimmen. Während der Fahrt durch die Hügel schwebt Eriks Bild in der Dunkelheit vor mir. Als stünde er immer noch unter einem Baum und starrte mich an.

Kapitel 18
    Am nächsten Tag bin ich in der Schule völlig neben der Spur. Wieso konnte Erik einfach so dort stehen, ohne dass er von meinem Gesang ins Wasser gelockt wurde? Wie soll ich mich verhalten, wenn ich ihn heute sehe? Hat er den anderen schon erzählt, dass ich ein absoluter Freak bin?
    Ich sitze im Englischkurs und bin völlig erschöpft. Ich bin so in Gedanken versunken, dass ich erst jetzt bemerke, dass mich leuchtend blaue Augen von der Tür aus anstarren. Augen wie das Wasser der Karibik. Augen wie meine. Ich zucke so heftig zurück, dass mein Stuhl kreischend über den Fliesenboden schabt.
    Erik lächelt. Ich reiße meinen Blick von ihm los. Er geht zu seinem Platz. Abermals schaut er lächelnd zu mir herüber.
    Genau in dem Moment springe ich auf. Meine Heftmappe und mein Englischbuch landen mit einem lauten Knall auf dem Fußboden. Ȁh, kann ich bitte zur Toilette gehen?«, frage ich und bücke mich, um die Sachen wieder aufzuheben.
    Wieso tut er so, als wäre nichts geschehen? Er war letzte Nacht an meinem See. Er weiß, was ich bin.
    Mrs Jensen hebt eine Braue und blickt auf die Uhr.
    Â»Kannst du nicht die Pause abwarten«?
    Ich schüttele so heftig den Kopf, dass ich beinahe ein Schleudertrauma kriege.
    Â»Na gut«, sagt sie mit einer gleichgültigen Geste.
    Sienna und Cole blicken mich verwirrt an, als ich an ihnen vorbeieile und mit Schwung die Klassentür aufreiße.
    Ich laufe bis zur Hälfte des Flurs, dann kann ich wieder ruhig atmen.
    Ich ziehe mich auf die Toilette zurück und verriegle die Tür. Ich hocke mich auf den

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