Der Kuss der Sirene
könnte ich zwar immer noch gewöhnliche Jungen ins Verderben stürzen, er jedoch ist immun. Und so bin ich nun hier und wühle mit den nackten Zehen im Sand. Es ist kalt und nass, und von der Sommerhitze, die noch vor wenigen Wochen herrschte, ist nichts mehr zu spüren.
Erik hat eine abgenutzte, handgemachte Patchworkdecke dabei, wir liegen auf die Ellbogen gestützt da und betrachten den Sonnenuntergang. Ich werde immer nervöser. Ich habe keine Ahnung, was die nächsten zwanzig Minuten bringen werden. Und ich kann kaum fassen, dass Erik so lässig und unbekümmert neben mir liegt. Wir schweigen, eine sanfte salzige Brise zerzaust unser Haar, während die glühend rote Sonnenkugel tiefer und tiefer sinkt und schlieÃlich das Meer berührt. Das Schlagen der Wellen wird laut, bald höre ich nichts als das Rauschen des Ozeans, dessen Rhythmus sich mein Atem anpasst. Ich setze mich auf und blicke Erik an.
»Du willst schwimmen?«, fragt er.
Ich bringe kein Wort heraus und nicke nur mit zusammengebissenen Zähnen.
»Aber ich werde dir nicht folgen. Dein Gesang führt mich nicht in Versuchung. Nicht am See und auch hier wird es nicht so sein.« Er legt seinen Arm um meine Schulter und zieht mich zu sich. Ich drücke mein Gesicht gegen seine Brust und seufze tief. Mein Körper sehnt sich nach der Brandung.
»Irgendwann wird dieser Drang vorbei sein. Dann können wir einfach so hier sitzen bleiben.«
Erst als mir die Tränen schon über die Wangen laufen, merke ich, dass ich weine. Erik legt das Kinn auf meinen Kopf und fährt mit einer Hand sanft über meinen Rücken. Er weiÃ, was ich bin, und er will mich trotzdem.
»Ich möchte gern zum Homecoming-Ball gehen«, bringe ich hervor.
»Was?«
»Der Ball. Ich möchte gern mit all meinen Freunden hingehen. Wie ich es vor zwei Jahren getan hätte.«
Er nickt und drückt mich an sich.
»Und ich möchte Sport machen. Oder vielleicht ⦠in irgendeine AG eintreten.«
Er sagt kein Wort.
»Und ich möchte irgendwo weit weg aufs College gehen.«
Erik streichelt weiter über meinen Rücken und hört mir mit einem sanften Lächeln zu. Ich spreche all jene Träume aus, die ich so lange für unerfüllbar hielt.
Als ich fertig bin, streicht er eine Strähne aus meinen Augen. »Das wirst du«, sagt er nur.
Kapitel 24
Am Montagmorgen schwebe ich förmlich durch die Gänge der Schule, immer noch ein wenig benommen von der unerwarteten Wende, die mein Leben genommen hat. Ich kenne Erik erst seit einer Woche und doch verdanke ich ihm schon so viel.
»Bitte sag mir, dass dein Stimmungswechsel nichts mit ihm zu tun hat«, sagt eine Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und sehe Cole an der Wand lehnen.
»Mit wem?«
Cole tritt auf mich zu. »Erik.«
Ich zögere. Ich möchte Cole nicht noch mehr verletzen.
»Also, so ist das: Du tauschst einfach den einen gegen den anderen aus?«
»So ist es nicht«, sage ich.
»Ich dachte, da wäre wirklich was zwischen uns.«
»Mach es nicht noch schlimmer.«
Er blickt mir geradewegs in die Augen. »Jedes Mal wenn etwas schiefgeht, jedes Mal, wenn es schwierig wird, ziehst du dich zurück.«
»Bitte geh nicht!«
»Bin schon weg. Ich wünsche dir viel Glück.« Er dreht sich um und läuft davon.
Ich bleibe zurück und bin den Tränen nahe.
Am nächsten Abend nimmt mich Erik mit ins Freizeitzentrum an der Strandpromenade. Dort kann man Hallen-Minigolf spielen, Bootscooter und Gokart fahren. Er schiebt das Geld unter der Scheibe durch, während ich unruhig neben ihm stehe. Der Kassierer gibt ihm eine Handvoll Karten und Erik trennt die ersten beiden ab. Die restlichen schiebt er in seine Hosentasche.
»Erwarte bloà nicht, dass du von mir einen Mädchen-Bonus kriegst«, sagt er und grinst breit, während er mich durch die groÃen Doppeltüren zum Kettenzaun führt. Eine kleine Bude steht am äuÃeren Ring der asphaltierten Gokart-Strecke, der aus Autoreifen besteht.
»Oh bitte. Du hast keine Chance«, erwidere ich und grinse zurück. Ich bin froh, dass er mich heute Abend hierhergeschleppt hat. Ich brauche das nach dem Aus mit Cole.
Erik gibt zwei Tickets einem Typ in einer orangefarbenen Weste und reicht mir seine Hand. Sie ist so viel gröÃer als meine, ich fühle mich ganz verloren darin. Er führt mich durch
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