Der Kuss der Sirene
überzeugt, dass ich die Einzige für ihn bin.
Er stupst mich an der Schulter an. »Also, wann ist denn dieser Homecoming-Ball?«
»In zweieinhalb Wochen«, antworte ich.
»Hast du schon das richtige Kleid dafür?«
Ich muss an das Abendkleid in meinem Schrank denken, das noch immer in der Plastikhülle von der Reinigung steckt. »Mehr oder weniger.«
»Mehr oder weniger?«
»Ich habe es ⦠vor zwei Jahren gekauft. Bevor meine, äh, Prioritäten sich geändert haben.«
Ich habe Erik nichts über mich und Steven erzählt. Er weià nicht, dass ich in Steven verliebt war. Eines Tages werde ich ihm alles anvertraut. Aber im Moment möchte ich weder an Steven denken noch über ihn sprechen. Ich möchte mich einfach nur der Illusion von Normalität hingeben.
Erik macht einen Schritt nach vorn, legt die Arme um meine Schultern und zieht mich zu sich heran. Ich lehne meine Wange an seine Brust. Ich spüre, wie meine Sorgen sich auflösen. Es ist so unglaublich, dass er mein gröÃtes Geheimnis kennt und es für ihn keine Rolle spielt. Zwei Jahre â und plötzlich gibt es jemanden, vor dem ich mich nicht mehr verbergen muss.
Und in diesem Moment küsst er mich zum ersten Mal. Er ist behutsam, seine Lippen berühren kaum meinen Mund. Erst als ich mich gegen ihn lehne und er seine Finger in meinem Nacken verschränkt, wird der Kuss für einen Augenblick inniger.
Und dann plärrt plötzlich eine Stimme aus den Lautsprechern in der Halle und ich weiche zurück.
»Ich ⦠äh ⦠ich bin â¦Â«
Er lächelt und blickt in meine erstaunten Augen. »Ich wusste, dass wir gut zueinanderpassen würden.«
Ich nicke, obwohl »gut« eine Untertreibung ist. Das war ⦠unglaublich.
»Möchtest du sehen, wo ich wohne?«, fragt er und lächelt schüchtern. »Wenn wir mehr Zeit miteinander verbringen, solltest du dich dort ja auch wohlfühlen.«
Der Gedanke daran, mein Leben mit jemandem zu teilen, macht mich sehr glücklich. »Okay.«
Er küsst mich flüchtig auf den Mund. »Dann komm. Es ist nur ein kurzes Stück die StraÃe runter.«
Das idyllische kleine Strandhaus ist so anders als die luxuriösen Anwesen von Sienna und Cole, die nur ein paar Kilometer die Küste hinauf stehen. Es hat ganz bezaubernde Schindelverzierungen und weiÃe Fensterrahmen. Obwohl es sicher nicht mehr als neunzig Quadratmeter Grundfläche hat, sieht es aus wie ein richtiges Zuhause. Eine groÃe Hollywoodschaukel aus Zedernholz hängt auf der Veranda, kleine Chrysanthementöpfe säumen den Weg zum Strand. Abgerundete, befestigte Stufen führen durch den Sand.
Ich stehe noch immer neben seinem Wagen und sehe ihn verwirrt an. »Du hast ein Strandhaus gekauft?«
»Ich habe es gemietet.«
»Aber wieso? Ich hab geglaubt, du hasst das Wasser.«
»Nur Flüsse üben diese magische Anziehung auf mich aus. Und davon abgesehen liebst du doch das Meer, oder?«
Eigentlich hat er Recht: Wenn wir frei sind, können wir überall sein, warum nicht am Meer? Ich ertappe mich dabei, dass ich ihn wieder umarme und ein Lächeln umspielt meine Lippen.
»Wie hast du dieses Haus bekommen? Du bist erst siebzehn â¦Â« »Meine Eltern haben das alles arrangiert.«
Bisher habe ich mir seine Familie gar nicht konkret vorstellen wollen. Für mich existierte er immer nur für sich allein.
»Meine Eltern wünschen sich sehr, dass wir zusammenkommen. Irgendwann wirst du sie kennenlernen.«
Eine schöne Vorstellung, Eltern zu haben, die deinen täglichen Existenzkampf verstehen. Vielleicht kann mir Eriks Mutter eines Tages noch mehr über das Leben der Sirenen erzählen.
Er schiebt eine Glastür auf und führt mich ins Haus. Auch drinnen riecht es frisch nach Salz und Meer, so als würde den ganzen Tag über gelüftet. Er führt mich durchs Wohnzimmer, vorbei an hübschen Korbmöbeln zu einem kleinen Hinterzimmer, das nur von einer Tiffany-Lampe beleuchtet wird.
Als ich das groÃe Doppelbett unter dem Fenster sehe, bleibe ich abrupt im Eingang stehen. »Du hast doch nicht etwa die Absicht â¦Â«
»Nein â natürlich nicht. Wenn du mal über Nacht bleiben willst, kann ich auf der Couch schlafen.« Er kommt zurück zu mir und hebt meinen Kopf leicht an, damit ich ihm in die Augen sehen kann.
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