Der Kuss des Anubis
und eine Spur von Hoffnung kehrte in Ramoses Herz zurück. Zum Glück hatte er das Amulett in der Werkstatt versteckt. Nicht auszudenken, wenn diese brutalen Männer auch noch Raia, Sadeh und Miu heimgesucht und zu Tode erschreckt hätten! Doch schon im nächsten Moment wurde ihm erneut flau vor Angst. Was bildete er sich da bloß ein! Dass die Soldaten hier suchten, musste ja beileibe nicht bedeuten, dass sie sich nicht gleichzeitig sein Haus und seine Familie vornahmen …
»Ich hab es, Hauptmann! Das ist es doch, wonach du suchst, oder nicht?«
Der Soldat hatte offenbar in den Salbtopf gefasst, in dem Ramose das Amulett versenkt hatte. Seine Hand triefte vor Öl, doch trotzdem leuchtete der Karneol in sattem Blutrot.
»Das kostet dich den Kopf, Balsamierer!« Die Stimme des Hauptmanns verriet tiefe Genugtuung. »Weitermachen, Männer! Vielleicht hat dieser Verbrecher ja noch andere Kostbarkeiten versteckt. Wenn ja, dann werden wir sie alle finden!«
Er stieß Ramose vorwärts.
»Und ihr verschwindet jetzt auch!«, schrie er das Paar an, das bislang wie gelähmt vor Angst keinen einzigen Mucks mehr gemacht hatte. Wieselflink sprangen sie nun auf und rannten hinaus. »Ich bringe den Angeklagten gleich in den Palast«, teilte er den Soldaten mit. »Ihr kommt erst nach, wenn ihr hier jede einzelne Ritze genau inspiziert habt!«
»In den Palast?«, wiederholte Ramose, am ganzen Körper zitternd.
»So lautet der Befehl. Der Pharao wird dich persönlich in Augenschein nehmen.« Der Hauptmann bleckte die Zähne. »Bevor er dein Todesurteil unterschreibt.«
»Aber ich war es nicht, das musst du mir glauben. Man hat mir den Herzskarabäus unterge…«
Ramoses Hände wurden jäh nach hinten gerissen und gefesselt. Als Nächstes bekam er einen Knebel in den Mund gestopft.
»Ich kann dein dreistes Gestammel nicht mehr ertragen«, sagte der Hauptmann. »Spar dir besser deinen Atem. Du wirst ihn noch brauchen, wenn man dein Geständnis mit Stöcken und Lederpeitschen aus dir herausprügelt.«
Verzweifelt senkte Ramose den Kopf, als man ihn aus der Werkstatt hinausführte. Keiner seiner Arbeiter ließ sich blicken, was ihn trotz allem irgendwie erleichterte. Doch
kaum waren sie draußen angelangt, trat ihnen jemand in den Weg.
Es war Ipi und sein Mund war zu einem breiten Grinsen verzogen.
Der Mann mit dem Geierprofil hörte schweigend zu. Es störte ihn nicht, dass der General wieder einmal außer sich schien, denn daran hatte er sich gewöhnt, in den langen Jahren, in denen er schon für ihn arbeitete.
Es waren ganz spezielle Aufträge, die er für ihn erledigte. Aufträge, die man sorgfältig und äußerst verschwiegen durchführen musste. Aufträge, bei denen es am günstigsten war, wenn man sich unsichtbar machen konnte. Eines Tages würden ihm dafür unermessliche Belohnung und große Ehrungen zuteil werden, hatte Haremhab ihm immer wieder versichert. Sobald der General erst einmal Krummstab und Wedel in Händen halten würde und Kemets Pharao geworden wäre.
Der Mann mit dem Geierprofil hatte keinen Anlass, nicht daran zu glauben, auch wenn er manchmal wünschte, dass jener Tag bald anbrechen würde. Doch in der Zwischenzeit war er auch mit der bisherigen Entlohnung zufrieden. Das Ledersäckchen mit dem Gold jedenfalls war so schnell in seinem Gürtel verschwunden, dass man beinahe an Zauberei hätte glauben können.
»Hast du mich verstanden?«, fragte Haremhab ungeduldig.
»Das habe ich, Herr«, erwiderte der Mann mit dem Geierprofil.
»Dann fass es noch einmal zusammen!«, forderte der General. »Ich will es aus deinem Mund hören.«
Der Mann stieß einen tiefen Seufzer aus und begann zu reden. »Es gibt zwei Probleme, die schnellstens gelöst werden müssen. Das eine ist die Suche nach den Grabräubern, bei der dieser Tropf von einem Schatzmeister dich um Unterstützung gebeten hat - eine Bitte, die du ihm selbstverständlich gewähren wirst. Das zweite, sehr viel dringlichere Problem sind die Mumien des Ketzerpaares. Sie müssen vernichtet werden, noch bevor der Pharao sie zu Gesicht bekommen kann. Denn sonst wird er sehen können, dass sie damals geschändet wurden …«
»Wie willst du das anstellen?«, unterbrach Haremhab ihn brüsk.
Sie hatten sich am Nilufer verabredet, bei Einbruch der Dämmerung, damit keiner ihre Zusammenkunft bemerkte. Die Folge war, dass nun hungrige Mückenschwärme über sie herfielen, um sie regelrecht aufzufressen, obwohl es eher ungewöhnlich war für diese
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