Der Kuss des Anubis
Jahreszeit, wo die Nächte schon merklich kühler wurden, weil der Winter nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Sie hätten es auch viel besser haben können. Ein kleines Stück flussabwärts stand eine kleine Schenke mit gutem Bier und ordentlichem Essen, die der Mann mit dem Geierprofil ab und zu besuchte; der General aber hatte den Graureiher als Treffpunkt strikt abgelehnt.
»Es gibt nur eine einzige sichere Methode«, sagte der Mann und seine große gebogene Nase schien auf einmal noch tiefer zu sinken. »Feuer.«
»Feuer?«, wiederholte Haremhab und schien erst dann richtig zu überlegen. »Ja, damit könntest du recht haben …«
»Natürlich habe ich recht! Was verbrannt ist, kann nicht mehr inspiziert werden - weder jetzt noch später. Das Feuer muss allerdings stark sein und großräumig angelegt. Der Rest erledigt sich dann von selbst. Harzgetränkte Mumien brennen wie Zunder. Da bleibt kaum etwas übrig.«
»Dann gehen die kümmerlichen Überreste des großen Ketzers und seiner hochmütigen Frau also bald in Flammen auf. Und von diesem ganzen Aton-Irrsinn bleibt nur ein Häuflein Asche übrig!« Der Mund des Generals hatte sich grimmig verzogen. »Nichts auf der Welt sehne ich mehr herbei als diesen herrlichen Tag!«
»Und ich dachte immer, das wäre der Tag, wo du als Pharao endlich die Doppelkrone Kemets trägst …«
»Schweig!«, donnerte Haremhab. »Was maßt du dir an? Du bist nichts als ein Werkzeug, kapiert!«
»Ganz wie du meinst, Herr.« Der Mann schien plötzlich ein Stück kleiner geworden zu sein, als könne er nach Belieben schrumpfen oder wachsen. »Ich wollte dich nicht beleidigen, was hätte ich schon davon? Lass uns lieber noch ein wenig an der Strategie feilen. Denn Fehler sollten wir uns dieses Mal besser nicht leisten.«
»Meinetwegen«, sagte der General knapp.
»Es muss nachts geschehen, um Zeugen auszuschließen. Und zwar gleichzeitig in beiden Gräbern, was die ganze Angelegenheit erschwert, denn die Leichen jetzt noch unbemerkt herauszuholen und neu zusammenzulegen, wäre zeitlich kaum noch möglich. Am geschicktesten wäre es, diese Grabräuber für unsere Zwecke einzusetzen. Sie kennen die Örtlichkeiten, sie müssen ohnehin schweigen, damit ihnen keiner ans Leder kann, und falls etwas schiefgeht und sie nicht überleben - wen kümmert es schon?
Möglicherweise wären dann sogar mehrere Probleme auf einen Schlag gelöst.«
»Keine schlechte Idee!« Haremhab schien beeindruckt. »Aber wie willst du diese Leute so schnell ausfindig machen? Und wie sie dazu bewegen, den Brand zu legen?«
Wie ein Raubvogel war der andere zu ihm herumgefahren. Fast glaubte der General, dabei das Geräusch riesiger Schwingen zu hören, die sich zusammenfalteten, aber da musste er sich wohl getäuscht haben.
»Lasst das ganz und gar meine Sache sein, Herr. Sagen wir: in drei Tagen?«
»In drei Tagen? Da will der Pharao endlich seine neue Rennbahn einweihen. Die kleine Königin wird langsam ungeduldig, doch es dürfte möglich sein, sie noch so lange hinzuhalten. Ich bin eingeladen worden, bei diesem Spektakel zu den Ehrengästen zu gehören. Was auch immer gleichzeitig im Tal der Könige geschehen mag - damit stehe ich außerhalb jeden Verdachts. Es wird ein bemerkenswerter Abend werden und ein Feuer im Grab ist danach vielleicht gar nicht mehr nötig …«
»Die Erfahrung der vergangenen Monate hat uns gelehrt, besser mit einer Doppelstrategie vorzugehen«, sagte der Mann mit dem Geierprofil. »Lieber zu viel geplant als zu wenig. Falls das eine Vorhaben schiefgeht, wird das zweite gewiss gelingen.«
Die Augen Haremhabs begannen zu glänzen.
»Allmählich scheinst du zu deiner alten Form zurückzufinden, was mich sehr beruhigt. Also in drei Tagen! Der Zeitpunkt könnte gar nicht besser gewählt sein.«
Dass einer der neuen jungen Polizisten, die seine Zelle bewachten, gerne trank, hatte Ani sich gleich gedacht. Dass er sich auch noch als leidenschaftlicher Spieler entpuppen würde, ging auf Imenis geniale Intuition zurück. Ganz unauffällig hatte er Lederbecher und Knochenwürfel mit zum Dienst gebracht, unter dem Vorwand, die schier endlose Zeit vor den Zellen mit etwas Kurzweil zu vertreiben.
Nicht lange, und der unerfahrene Mann brannte vor Leidenschaft. Imeni ließ ihn eine ganze Weile bewusst gewinnen, bevor das Blatt sich wendete und der andere plötzlich zu verlieren begann. Um seine Sicherheit wiederzufinden, schüttete er jede Menge Dattelbier in sich hinein,
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