Der Kuss des Anubis
durcheinandergewürfelt, als hätte die Hand eines Riesen es ergriffen und einmal kurz zornig hin und her geschüttelt.
Der Jüngste, ein muskulöser Mann aus dem Delta, war mit seiner Fackel vorangestürmt, doch plötzlich stand er wieder schlotternd vor Schatzmeister Maya.
»Die Götter grollen uns«, stammelte er. »Das ist der Fluch, der jeden Eindringling bestraft!«
»Was genau hast du gesehen?«, fragte Maya streng. Dass
jetzt Panik unter seinen Leuten ausbrach, wollte er unbedingt verhindern.
»Eine schwärzliche Hand, Schatzmeister«, brachte der junge Mann hervor. »Mitten aus dem kaputten Holz ragt sie mahnend empor!«
Maya ließ die Männer warten und ging alleine weiter. Der goldene Sarkophag mit Einlagen aus blauem und türkisem Glas sowie rötlichem Chalzedon, die ein Federmuster darstellen sollten, war geöffnet. Leinenbinden quollen heraus. Und da war sie auch, die unheimliche Hand, von der der junge Mann geredet hatte!
Eigentlich hätte er nun alles überprüfen müssen. Doch eine Art heilige Scheu hielt ihn plötzlich davon ab, sich über den Sarg zu beugen und sich zu vergewissern, in welchem Zustand der Rest der Mumie war. Das zu tun, war einem Einzigen vorbehalten: demjenigen, dessen Vater Echnaton hier zur ewigen Ruhe gebettet lag - Pharao Tutanchamun.
Maya sprach ein stummes Gebet zu Anubis, dem dunklen Gott des Totenreichs, den viele in Kemet auch als Wächter der Schwelle zwischen Leben und Tod verehrten, und kehrte dann zu seinen wartenden Männern zurück.
»Gehen wir!«, sagte er. »Für heute haben wir genug gesehen.«
Sie verschlossen den Seiteneingang und verließen das Tal der Könige, während ihnen beim steilen Anstieg über den Berg die hochstehende Sonne die Schulterblätter schier versengen wollte.
Den ganzen Rückweg zum Palast über grübelte der Schatzmeister, mit welchen Worten er dem König den grausigen Fund am besten erklären sollte. Schließlich entschied er sich für größtmögliche Direktheit.
»Ich bringe schlechte Nachrichten, mein König, mögest du leben, heil und gesund sein«, sagte Maya, nachdem er zum Pharao vorgelassen worden war. »Deine Befürchtungen haben sich bewahrheitet - leider.«
Tutanchamun erhob sich langsam von seinem Thronsessel. Sein Gewand war königlich mit Gold geschmückt, wie es das Zeremoniell gebot. Für gewöhnlich wäre Anchesenamun an seiner Seite gewesen, kaum weniger prächtig ausgestattet. Doch heute war der Platz neben ihm leer.
»Die Mumien sind also tatsächlich geschändet worden?«, fragte er.
»Das Grab deines Vaters ist erbrochen und verwüstet. Viele der kostbaren Grabbeigaben fehlen und überall liegen zurückgelassene Teile herum. Der Sarg ist geöffnet…«
»Die Mumie!«, unterbrach der Pharao ihn. »Was ist mit der Mumie? Hat man ihn …«
»Ich habe es nicht gewagt, in das Antlitz des Toten zu blicken.« Maya verneigte sich mit der ganzen Eleganz seiner hohen, schlanken Gestalt. »Das gebührt allein dir, Einzig-Einer. Aber wenn du befiehlst …«
»Schon gut!«, unterbrach ihn der Pharao erneut. »Darum und um den Zustand der weiteren Gräber werden wir uns später kümmern. Vor allem aber müssen sie jetzt ergriffen und bestraft werden, jene verbrecherischen Frevler, die die ewige Ruhe der toten Könige stören. Finde diese Grabräuber und finde sie schnell - so lautet mein Befehl!«
»Ganz zu deinen Diensten, Goldhorus!« Der Schatzmeister nahm militärische Haltung an.
»Für den Erfolg der Aktion bist du mir persönlich verantwortlich. Ich verlasse mich ganz auf dich, Maya!«
Schwierige Kunden waren das, die sich nicht entscheiden konnten oder wollten. Der Mann hockte regelrecht auf seinem Silber, von dem er offenbar eine beachtliche Menge gehortet hatte. Ein Geizhals, den jeder Deben reute, den er für das Begräbnis seines Vaters ausgeben sollte, während die Frau, launisch und unzufrieden, sich darüber beklagte. Es würde alles andere als einfach mit ihnen werden, so etwas spürte der Balsamierer immer schon nach den ersten Sätzen.
Wie lange verhandelten sie nun schon über die Einzelheiten? Ramose kam es unendlich vor, weil alles sich im Kreis zu drehen schien. Kaum hatte er einen Vorschlag gemacht, erhob die Frau bereits Einwände, und wenn er diese dann entkräftet hatte, begann ihr Mann zu feilschen, als hinge sein Leben davon ab.
Irgendwann hatten sie schließlich einen wackligen Kompromiss erzielt, mit dem alle leben konnten, und Ramose wollte anlässlich des Vertragsabschlusses
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