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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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wobei er allerdings nicht wusste, dass Imeni es zuvor großzügig mit Tijas Baldriantinktur versetzt hatte, die sonst die Katzen anlockte, wenn sie von ihren Streifzügen wieder nach Hause kommen sollten.
    Die Bewegungen des jungen Polizisten wurden schwerfälliger, sein Sprechen immer schleppender. Imeni gönnte ihm noch den Triumph eines unerwarteten Doppelpaschs, für den der glückliche Gewinner sich großzügig mit dem stattlichen Rest aus dem Tonkrug belohnte, dann fiel er vornüber und rührte sich nicht mehr.
    Das war der Anblick, auf den Imeni seit Tagen gelauert hatte. Er schloss die Tür auf, hinter der Ani in vollkommener Dunkelheit eingeschlossen war.
    »Jetzt!«, flüsterte er. »Ich weiß, es ist eine Zumutung, aber ich muss es trotzdem sagen: Lauf!«
    Blinzelnd kroch Ani heraus, reckte und streckte sich und versuchte dann, aufzustehen, was misslang.
    »Dieses verdammte Bein«, schimpfte er, seine Augen reibend,
die an das Licht nicht mehr gewöhnt waren. »Eines Tages schneid ich es mir noch ab!«
    »Das wirst du schön bleiben lassen, Junge!« Imeni zerrte ihn fast gewaltsam hoch. Jetzt stand Ani auf den Beinen, wenngleich nicht besonders stabil. »Das bist du mir schuldig, wenn ich hier meinen Kopf für dich hinhalte.«
    »Du bist ein wahrer Freund!«, sagte Ani. »Aber was wird Userkaf machen, wenn ich auf einmal weg bin?«
    »Interessiert uns das?« Imeni grinste kurz. »Nein, tut es nicht. Komm, nimm diesen Knüppel und gib mir damit eins über den Schädel!«
    »Bist du verrückt geworden?«
    »Ganz im Gegenteil! Wir sind brutal überfallen worden, mein junger Kollege und ich - und als wir wieder aufwachten, war die Zelle leer und der Gefangene entwischt. Also, worauf wartest du noch? Und bloß nicht zu zaghaft. Aber auch nicht zu fest. Die Sache muss glaubhaft sein und dafür reicht eine prächtige Beule!«
    Ani zögerte noch immer. »Und was ist dann mit ihm?«, fragte er und deutete auf den Schnarchenden. »Müsste ich nicht auch ihm …«
    »Keine Sorge! Es reicht, wenn du mir eins verpasst. Er hat so viel Baldrian intus, dass sein Schädel ohnehin mächtig hämmern wird, wenn er wieder aufwacht!«
    »Und du nimmst es mir nicht übel? Auch später nicht?«, fragte Ani sorgenvoll.
    »Nur wenn du jetzt noch lange untätig vor mir herumhampelst!«, versicherte Imeni mit einem schiefen Grinsen.
    Ani nahm den Knüppel, atmete tief aus - und schlug zu.
    Danach vergewisserte er sich, dass Imeni nicht ohnmächtig war, und setzte sich in Bewegung.

    An so etwas wie Rennen war zunächst gar nicht zu denken. Es war eher ein mühevolles Humpeln, das ihn vorwärtstrug. Bald schon begann der rechte, gesunde Fuß, gegen diese ungewohnte Belastung zu protestieren, während es im linken derart stach, als wären Hummeln hineingeraten. Schweißbäche strömten über seinen Körper. Nach den Tagen in der Zelle ohne Wasser und frische Kleidung stank er ohnehin schlimmer als ein Iltis. Jeder, der ihm näher kam, würde sich mit Grausen von ihm abwenden.
    Über Nebenstraßen und kleine Gassen gelang es Ani, sich unbemerkt bis zum Nil durchzuschlagen. Der Anblick des großen Flusses, der in der Abendsonne kupfern glänzte, wirkte beruhigend auf sein aufgewühltes Gemüt.
    Wie die Welt sich mit einem Schlag verändert hatte!
    Noch vor Kurzem war er der Jäger gewesen, der die Verbrecher gestellt hatte. Jetzt war er selber zum Gejagten geworden, jenseits aller geltenden Gesetze. Sein Leben war nichts mehr wert, es sei denn, es gelänge ihm, das Blatt noch einmal zu wenden. Trotz der mageren Verpflegung und dem Hunger, der in seinen Eingeweiden rumorte, funktionierte sein Verstand wie gewohnt.
    Er wusste, dass er unschuldig war und sich nichts vorzuwerfen hatte. Jetzt aber musste es ihm gelingen, seine Unschuld auch zu beweisen, bevor Userkaf ihn erneut zu fassen bekam. Das war seine einzige Chance, wenn er überleben und sich von den schweren Vorwürfen reinwaschen wollte.
    Doch dazu brauchte er Kenamun - und die Hinweise, die jener ihm bislang noch verschwiegen hatte. Aber Kenamun wohnte im Wüstendorf wie in einer Festung -
unerreichbar für einen stinkenden, zutiefst verzweifelten Ausbrecher!
    Wäre es nicht viel klüger, zuerst in den Graureiher zu gehen und sich dort wenigstens einigermaßen frisch zu machen?
    Ani verwarf den verlockenden Gedanken sofort wieder.
    Die Schenke wäre vermutlich der erste Ort, an dem sie nach ihm suchen würden. Doch weder Taheb noch Nefer besaßen die Stärke, einem scharfen

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