Der Kuss des Anubis
Verhör standzuhalten, so viel war gewiss! Nein, die Eltern wollte und konnte er da nicht mit reinziehen - und der Rest der Familie …
In seiner Fantasie tauchten Mius schmale grünliche Augen vor ihm auf, ein Bild, das er in der schrecklichen Zeit im Loch tunlichst weggeschoben hatte. Wie wütend sie auf ihn sein musste, jetzt, wo sie sicherlich längst erfahren hatte, dass der Brief an ihre Mutter von seiner Hand stammte! Nun bereute er, Ramose damals das Versprechen gegeben zu haben, ihr nichts davon zu sagen.
Doch was nützte das alles jetzt noch?
Plötzlich schien alle Kraft aus ihm zu weichen, und vielleicht hätte er in diesem Moment aufgegeben, wenn nicht auf einmal Iset neben ihm gestanden hätte.
»Ani!«, rief sie erfreut, dann erst fiel ihr offenbar sein erbärmlicher Zustand auf. »Was ist denn mit dir passiert?«
»Das erklär ich dir alles später«, flüsterte er und ein Gefühl großer Erleichterung breitete sich in ihm aus. Dass sie ihm den Schurz mit dem blauen Band der Flusspolizei gelassen hatten, auch wenn der in sehr mitgenommenem Zustand war, machte alles einfacher. »Du gehst gerade nach Hause?«
Sie nickte. Ein leichter Wind hatte sich erhoben, der ihr Kleid enger an ihren runden Bauch schmiegte.
»Ja, sobald die Fähre endlich da ist. Und schau mich nur an! Ich werde allmählich zu einem Fässchen«, sagte sie, leicht errötend. »Unser Kleiner will wohl ein ganz Großer werden! Ich denke, es wird ein Junge, aber wenn es doch ein Mädchen wird, sei sie uns genauso willkommen. Kenamun behauptet allerdings, ich gefiele ihm mit Bauch noch besser als früher. Jedenfalls wenn er mal zu Hause ist.«
»Und? Wird er heute da sein?«
Wenn sie wüsste, was von ihrer Antwort alles für ihn abhing!
»Ich glaube schon«, sagte Iset. »So hat er es wenigstens heute Morgen gesagt. Willst du mitkommen und mit ihm reden?«
Ani sah den Funken der Hoffnung in ihren Augen aufglimmen. Natürlich - jetzt fiel ihm wieder ein, um welchen Gefallen sie ihn gebeten hatte! Aber sie hatte ja keine Ahnung, was inzwischen alles geschehen war.
»Gerne«, sagte er. »Wenn du mich in diesem Zustand überhaupt mitnimmst. Hinter mir liegt eine Verbrecherjagd der besonderen Art.« Er musste schlucken. Zu lügen lag ihm überhaupt nicht, aber jetzt musste es eben sein, bevor Iset noch misstrauisch wurde und zu viele Fragen stellte! »Manchmal müssen wir dabei sogar durch Schweineställe oder sogar Schlimmeres. Heute war leider keine Zeit mehr, mich wieder halbwegs in Ordnung zu bringen.«
»Mir macht das nichts aus.« Sie lachte unbekümmert. »So ist das nun mal in deinem Beruf! Wasser und Pottasche zum Sauberwerden kannst du von mir bekommen.
Und etwas Leckeres zu essen gibt es bei uns auch. Hast du heute keine Nachtwache?«
»Nein«, sagte Ani schnell und bückte sich nach ihrem Korb. »Heute nicht.«
Es entstand eine kleine bange Pause.
»Du wirst doch mit ihm reden, Ani?«, sagte Iset dann. »Bitte, tu mir den Gefallen!«
»Und ob ich das werde!«, versicherte er.
Inzwischen hatten sich an der Anlegestelle immer mehr Leute eingefunden. Jetzt machten die Ersten sich zum Einsteigen bereit.
Und hocherhobenen Hauptes, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, im Dienst schlimmer als ein Iltis zu stinken, betrat auch Flusspolizist Ani an der Seite von Iset die Fähre zum Westufer.
Als die Nachricht von Ramoses Verhaftung die Familie erreichte, gab es für Miu kein Halten mehr. Einer der Arbeiter hatte sie ihnen überbracht, ein magerer, schüchterner Mann, nicht mehr ganz jung, der immer noch unter dem Eindruck der schrecklichen Ereignisse zu stehen schien.
Sadeh fragte ihn gründlich aus, drückte ihm ein paar Kupferdeben in die Hand und schickte ihn schließlich nach Hause. Eigentlich wäre es an Ipi gewesen, sie zu informieren, doch der hatte sich bislang nicht bei ihnen blicken lassen.
»Ich gehe zum Pharao - und niemand wird mich aufhalten, auch du nicht!«, rief Miu. »Dann kann ich gleich auch für Ani bitten.«
»Ich will nicht, dass du dich wegwirfst«, widersprach Sadeh. »Und es würde bestimmt auch nichts nützen, so, wie die Dinge nun einmal liegen. Man hat ein kostbares Amulett bei Ramose gefunden, aus einem Königsgrab. Das ist ein schlagender Beweis, der gegen ihn spricht.«
»Beweis, Beweis! Was heißt das schon? Glaubst du etwa, Papa ist tatsächlich ein Grabräuber?«, rief Miu entsetzt. »So etwas Schlimmes würde er doch niemals tun!«
Sadeh zog die Schultern
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