Der Kuss des Anubis
steht dir nicht zu, mehr von mir verlangen. Wenn dein Vater schuldig ist, wird er die Strafe erhalten, die er verdient, genau so, wie das Gesetz der Maat es verlangt.«
Auf ein Handzeichen von ihm traten zwei Männer der Leibwache zu Miu und führten sie hinaus. Kaum war die Türe einen Spalt offen, schoss Jamu wie ein kleiner roter Blitz in den Thronsaal, lief zum Pharao und schmiegte sich schnurrend an seine Beine.
Bei seinem Anblick brachen in Miu alle Dämme.
Sie begann zu weinen und konnte nicht mehr damit aufhören, auch dann nicht, als sie endlich wieder zu Hause angelangt war.
Dass dieser Krüppel entkommen war, hatte Userkaf ungemein wütend gemacht. Natürlich hatte er sofort nach ihm fahnden lassen, doch Ani besaß ein paar Stunden Vorsprung, die nicht so einfach aufzuholen waren. Imeni und den anderen Trottel, die sich so einfach hatten übertölpeln lassen, erwarteten empfindliche Strafen, doch auch das brachte Ani leider nicht zurück.
Die Eltern in der Schenke Zum Graureiher wussten nichts, da war Userkaf sich ziemlich sicher. Die Mutter hatte bei der Befragung sofort zu heulen begonnen, während der Vater ihn nur stumm wie ein Fisch angeglotzt hatte. Er sei ein ehemaliger Schreiber, so ging das Gerücht, was man diesem verkommenen Wirt heute gar nicht mehr zugetraut hätte.
Wohin würde einer wie Ani fliehen?
Natürlich kannte er durch seinen Beruf die Stadt und ihre Schlupfwinkel genau, und dennoch war es gar nicht so einfach, irgendwo ein sicheres Versteck zu finden, vor allem wenn man wie Ani die Seiten gewechselt hatte.
Ob er bei Verwandten unterkriechen würde?
Die wenigsten würden einen flüchtigen Angeklagten bei sich aufnehmen, aus Angst, selber mit hineingezogen zu werden. Trotzdem konnte es nicht schaden, demnächst einen kurzen Besuch bei der »kleinen Verwandten« vorzunehmen, die er von der Polizeiwache her kannte. Vielleicht wusste das hübsche Töchterchen des Balsamierers ja mehr über den Verbleib ihres hinkenden Cousins.
Wesentlich wahrscheinlicher aber war, dass Ani sich auf das Westufer abgesetzt hatte. Die vielen Höhlen im weichen Gestein boten ideale Schlupflöcher, vorausgesetzt, der Flüchtige hatte die Möglichkeit, sich mit Essen und Trinken einzudecken.
Lebensmittel aber konnte er auf dem Westufer nur aus dem Wüstendorf beziehen.
Userkaf durfte keine Zeit vergeuden. Und er beschloss, allein zu gehen. Abgesehen von der Ergreifung Anis galt es, herauszufinden, woher all jene Informationen über die Grabräuberbande kamen.
Er hatte gründlich nachgedacht und alles genau abgewogen. Schließlich war nur ein einziger Name übrig geblieben - Kenamun.
Die Vorstellung, sich ausgerechnet jetzt im Tal der Könige zu zeigen, war alles andere als erfreulich. Doch das Schicksal schien es gut mit ihm zu meinen, denn Userkaf traf den jungen Tunnelbauer zu Hause an, im Wüstendorf, wo er gerade eine gequetschte Hand auskurierte.
Kenamun wurde fahl, als er ihn erblickte. Keku, der kleine Kater, machte einen erschrockenen Satz zur Seite.
»Ich hab ein Hühnchen mit dir zu rupfen«, sagte der Polizist streng. »Fang erst gar nicht zu leugnen an, denn ich weiß ohnehin, dass nur du es gewesen sein kannst!«
»Aber doch nicht hier«, flüsterte Kenamun. »Meine schwangere Frau und meine Schwiegermutter - wenn sie uns hören!«
»Das hättest du dir früher überlegen müssen«, sagte Userkaf ungerührt. »Nämlich bevor du wie ein kleiner Singvogel zu zwitschern begonnen hast. Bist du von Sinnen, Mann? Was fällt dir ein, die Abmachungen zu verletzen und auszupacken? Und dann auch noch ausgerechnet vor einem hungrigen Schnüffler wie diesem Ani? Das kann dich den Kopf kosten!«
»Das hat Ani auch gesagt.« Kenamun drängte ihn in ein kleines Zimmer, in dem ein schmales Bett stand. »Er hat mich vor dem Versteck der Grabbeigaben erwischt. Was hätte ich tun sollen? Irgendetwas musste ich ihm doch preisgeben!«
»Aber nicht solch wertvolle Hinweise auf einen ›Drahtzieher‹! Das wirst du büßen, Freundchen!«
»Ich hab niemals mitmachen wollen, das weißt du genau«, stieß Kenamun hervor. »Nur weil ihr mich dazu gezwungen habt, hab ich schließlich die Tunnel gegraben.«
»Man sollte sich genau überlegen, wen man heiratet«, sagte Userkaf. »Und die Familie deiner Frau, an der so viel Schmutz klebt, ließ dir eben keine andere Wahl. Eine feine Sippe von Denunzianten.« Userkaf stieß ein meckerndes Lachen aus. »Da passt du ja ausgezeichnet dazu!«
»Aber damit
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