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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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können, doch dem stand sein unbeugsamer Qualitätsanspruch entgegen.
    »Man darf nie nachlassen, niemals«, sagte er oft. »Merk dir das, Tochter! Sonst kann man gleich einpacken und das Feld für die Konkurrenten räumen.«
    Der Balsamierer hatte seine Reise so lange aufgeschoben, dass er nun die Unbilden des Wassertiefststandes auf sich nehmen und bei der Rückkehr sogar den strapaziösen Landweg ins Auge fassen musste. Schweren Herzens und unter endlosen Ermahnungen hatte er sich bei Miu und der Schwiegermutter verabschiedet, die, kaum war er aus dem Haus, als Erstes eine Näherin einbestellt hatte.
    »Wir weihen ihn ein, sobald er zurück ist«, hatte sie Mius Einwände beiseitegefegt. »Das ist immer noch früh genug. Inzwischen wollen wir überlegen, was wir für dich tun können!«
    Das Ergebnis dieser Bemühungen trug Miu nun am Leib, und sie fühlte sich in der ungewohnten Aufmachung derartig herausgeputzt, dass sie zu spüren glaubte, wie halb Waset sie anglotzte. Dabei lag das glutheiße Straßengewirr in seinen verblassenden Beige- und Ockertönen längst hinter ihnen und auf der Fähre zum Westufer verteilte sich gerade mal ein gutes Dutzend Passagiere. Um ihre Unsicherheit zu überspielen, starrte Miu auf die Reflexe der Sonnenstrahlen, die auf dem Wasser wie ein goldenes Netz flimmerten.
    »Was soll nur aus diesem Land werden, wenn Kemets großer Fluss austrocknet, weil die Götter sich von uns Menschen abgewandt haben?«

    Die Stimme klang, als gehörte sie der Mutter aller Klageweiber, doch als Miu sich umdrehte, erblickte sie keineswegs eine der berufsmäßig Trauernden, die gegen Bezahlung scharenweise den Leichenzügen folgten. Stattdessen schaute sie in das gerötete Gesicht einer mageren Frau in einem schmuddeligen blauen Trägerkleid, die mit Spinnenfingern auf die immer breiteren Sandbänke wies.
    »Noch nie war der Nil so seicht.« Ihre Stimme drohte zu kippen. »Nicht seitdem meine liebe Mutter mir das Leben geschenkt hat!«
    »Du wirst dich mit dem Jammern etwas gedulden müssen«, hörte sie Großmamas gelassene Antwort. »Denn noch hat das neue Jahr ja nicht begonnen!«
    Wie elegant sie war in ihrem plissierten weißen Gewand, das mit dem kunstvoll geflochtenen Silberhaar um die Wette zu strahlen schien! Ihre aufrechte Haltung erschien Miu geradezu königlich, und die silberne Armspange mit dem großen Türkis, die sie heute zum ersten Mal an ihr sah, verstärkte diesen Eindruck noch.
    »Was, wenn der Hapi* nicht dick und lebendig werden will und die Flut wieder so gering ausfällt wie die beiden vergangenen Jahre? Dreizehn magere Ellen, das bedeutet doch nichts anderes als Hunger und Mangel!« Die genuschelte Sprechweise verriet, dass die Frau alles andere als nüchtern war. »Ich rechne sogar fest damit. Und wisst ihr auch, weshalb? Ich will es euch verraten.«
    Sie breitete die zaundünnen Arme aus, als wolle sie eine Ansprache halten, und schien dabei zu taumeln. Im letzten Moment gelang es ihr, sich auf den staksigen Beinen zu halten.
    »Das liegt einzig und allein an ihm, dem Sohn des
großen Ketzers. Weil dessen verbrecherisches Blut in seinen Adern kreist. Ihn bestrafen sie - und damit auch uns!«
    »Halt den Mund!«, rief ein Mann erbost. »Schlaf lieber erst deinen Rausch aus, Weib, bevor du öffentlich solchen Unsinn daherbrabbelst.«
    Doch die Worte der Betrunkenen hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Viele der Gesichter ringsum wirkten auf einmal betreten, manche sogar ängstlich. Für Miu war es nichts Neues. Mehrmals hatte sie Anuket Ähnliches flüstern hören, meist in Gegenwart von Menna, der sich regelmäßig um ihren Garten kümmerte. Freilich wagten sie es nur, wenn Raia nicht in der Nähe war, denn Großmama wusste die beiden mit strengem Blick zum Schweigen zu bringen.
    Es traf zu, dass die Nilflut nun schon zwei aufeinanderfolgende Jahre weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben war. Noch musste niemand im Land hungern, weil Pharao Tutanchamun die Speicher der großen Tempel öffnen und reichlich bemessene Sonderzuteilungen an Getreide hatte ausgeben lassen, aber auch diese Vorräte waren, wie alle wussten, keineswegs unbegrenzt. Es gärte unter der Bevölkerung und gleichzeitig wuchs der Druck auf den Pharao: War seine Beziehung zu den Göttern stark genug?
    »Nur ein guter König schenkt dem Land auch eine gute Überschwemmung.« Jetzt klang die dürre Betrunkene wie ein trotziges Kind. »Er muss in der Lage sein …«
    »Hör einfach nicht mehr hin, Miu!«,

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