Der Kuss des Anubis
umringt ihr die beiden, als wären sie Verbrecherinnen? Sie sind mehr als willkommen. Der Haushofmeister erwartet uns bereits!«
Die Männer traten zurück und Mayet nickte den Besucherinnen aufmunternd zu.
»So kommt! Ich werde euch zu ihm bringen.«
Raia und Miu gingen mit ihr zum Haupttrakt, Großmama kerzengerade, mit hocherhobenem Haupt, Miu eher unbeholfen, weil sie die Blicke der Leibgardisten, die ihnen in gewissem Abstand folgten, wie Nadelstiche im Rücken zu spüren glaubte.
»Der Haushofmeister?«, sagte Großmama leise. »Ich hatte gehofft, wir würden gleich …«
»Noch immer dieses Ungestüm!« Mayet war stehen geblieben, wiegte bedenklich den Kopf. »Man spürt, dass du lange nicht mehr bei Hofe warst, Raia. So manches mag sich inzwischen geändert haben. Anderes dagegen ändert sich niemals, daran solltest sogar du dich gewöhnen. Von Sepi empfangen zu werden, ist bereits eine große Auszeichnung!«
Der Mann, der sie in einem großen Raum mit schönen Wandmalereien empfing, war feingliedrig und auffallend gepflegt. Blendend weiß sein plissierter Schurz; die Wangen so sorgfältig geschabt, dass seine Haut wie dunkles Gold schimmerte. Mayets aufgeregtes Geschnatter unterbrach er mit einem kühlen Nicken.
»Das ist das betreffende Mädchen?«, sagte er, an Raia gewandt, als wäre sie die Einzige, von der er sich einigermaßen klare Auskünfte erwartete. »Was genau will sie gehört haben?«
»Das soll sie dir am besten selber sagen.« Raia versetzte ihrer Enkelin einen aufmunternden Stups.
Miu atmete tief aus und begann mit ihrer Geschichte. Sepi schloss die Lider, während er zuhörte - ob aus Konzentration oder eher aus Widerwillen, das vermochte sie nicht zu sagen, denn seine Züge verzerrten sich, je weiter sie in ihrem Bericht gelangte.
»Warte!«, unterbrach er sie, als sie bei ihrem zweiten Besuch auf dem Markt angelangt war. »Das müssen andere Ohren als meine zu hören bekommen.«
Er lief hinaus, ließ die drei für einige Zeit allein.
»Er wird Maja holen gehen«, sagte die Amme in das entstandene
Schweigen hinein. Sie schnalzte mit der Zunge und legte den Kopf vielsagend zur Seite. »Worauf ich bereits von Anfang an gesetzt hatte. Mein Namensvetter steht als Schatzmeister und Verwalter des Hauses der Ewigkeit * dem Pharao näher als sonst einer bei Hof.«
»Hoffentlich ist er auch weniger voreingenommen«, rief Miu. »Hat dieser Sepi mir überhaupt geglaubt? Ich hatte nicht den Eindruck!«
»Du erzählst eben noch einmal von vorn«, erwiderte Großmama ungerührt. »Man wird dir glauben müssen, mein Mädchen!«
»Hoffentlich ist es bis dahin nicht schon zu spät …«
Zwei dunkelhäutige Diener, die einen Mann begleiteten, der so schlaksig und langbeinig war, wie es meist nur die Bewohner der großen Oasen sind. Er befahl ihnen, draußen zu warten, bevor er die Türe schloss und sich den Besucherinnen zuwandte.
»Du also bist die Kleine, die Sepi aus der Fassung gebracht hat.« Maja musterte das Mädchen eingehend. »Dann lass mal hören, was du zu sagen hast.«
Irgendetwas an seinem Tonfall störte sie. Oder war es die Art, wie er auf sie herabschaute, als wäre sie ein lästiges Insekt? Miu begann noch einmal von vorn, äußerlich ruhig, aber sie spürte, wie Ärger in ihr aufstieg, und obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, an ihrem Bericht nichts zu verändern, geschah es doch. Hier ein Wort mehr, dort ein Halbsatz weggelassen - plötzlich klang es anders in ihren Ohren. Anders, als sie eigentlich gewollt hatte.
Sie hielt inne, presste die Hand auf das Herz.
»Was ist los?« Majas Augen ruhten auf ihr. »Das ist doch noch nicht das Ende.«
»Geschichten werden nicht dadurch wahrer, dass man sie wieder und wieder erzählt. Ich weiß, dass der Pharao in großer Gefahr schwebt. Nur deshalb bin ich hier.« Sie zog die Stirn kraus. »Wieso kann ich ihm das eigentlich nicht selber sagen?«
»Weil ein Königshof ein Gebilde mit komplizierten Regeln ist, beinahe so etwas wie ein Lebewesen, das eigenen Gesetzen gehorcht.« Majas Stimme klang gereizt. »Wo kämen wir denn hin, wenn jeder zum Pharao vorgelassen würde?«
»Aber ist dieses Beinah-Lebewesen nicht dem Untergang geweiht, sobald der König tot ist?«
Hatte sie das wirklich gerade gesagt?
Es war ihr einfach so herausgerutscht. Eine heiße Welle aus Verlegenheit und Zorn schoss in Miu empor. Sie spürte, wie ihre Lippen bebten.
»In gewisser Weise, ja.« Jetzt besaß sie Majas uneingeschränkte
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