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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Aufmerksamkeit, das konnte Miu spüren. »Zumindest so lange, bis die Trauerzeit vorüber ist und der neue Pharao den Thron bestiegen hat.«
    »Das klingt ja, als spiele es gar keine entscheidende Rolle, wer Herrscher der beiden Länder ist. Ist es so?«
    »Miu!«, sagte Großmama scharf. »Es reicht! Du wirst dich sofort bei dem verehrten Herrn Schatzmeister entschul…«
    »Alle in Kemet haben dem Einzig-Einen zu dienen, möge er leben, heil und gesund sein!«
    Eine Stimme wie Donnerhall, die jeden im Raum plötzlich kleiner erscheinen ließ. Sie kam von einem Mann, der unbemerkt eingetreten war. Hakennase. Borstige graue Brauen. Energische Lippen, gewohnt zu befehlen. Ein von
kräftigen Adern durchzogener Hals. Der Brustkorb unter seinem bis an die Knöchel reichenden Gewand, das von zwei Bändern um den Hals gehalten wurde, war breit. Den Rücken jedoch hatte das Alter bereits leicht gebeugt.
    »Schließlich ist Tutanchamun nicht nur Pharao, sondern auch Gott«, fuhr er fort. »Alles gehört ihm. Sogar die Luft, die wir atmen. Ohne ihn wären wir nichts, weniger als ein Sandkorn in der unendlichen Wüste. Ist deine Frage damit beantwortet, Mädchen?«
    Miu nickte beklommen.
    Ein Löwe, dachte sie. Kraftvoll. Unerschrocken. Jemand, den nichts und niemand aufzuhalten vermag.
    Wer nur war dieser Ehrfurcht gebietende Mann?
    Raia war in eine tiefe Verneigung gesunken, in der sie regungslos verharrte, und auch Mayet tat es ihr nach.
    »Du gibst uns persönlich die Ehre, Göttervater Eje?« Sogar der Schatzmeister klang mit einem Mal nicht mehr ganz so selbstbewusst.
    »Weshalb bin ich nicht von Anfang an in Kenntnis gesetzt worden?«, erhielt er als barsche Antwort. »Alles, was den Pharao betrifft, betrifft auch mich. Oder lassen meine diesbezüglichen Anordnungen an Klarheit vermissen?«
    »Natürlich nicht, Wesir*. Wir wollten lediglich zunächst sicherstellen, dass die Aussagen der Kleinen auch Hand und Fuß haben, nicht mehr und nicht weniger …«
    »Wie heißt du, Mädchen?«, unterbrach Eje ihn.
    »Mutemwija. Aber alle nennen mich Miu.«
    »Dann erzähl mir, was geschehen ist, Miu«, sagte Eje, als wären nur noch sie beide im Raum.
    Sie hielt seinem strengen Blick stand, obwohl es sie größte Anstrengung kostete.

    »Alles?«, fragte sie schließlich.
    »Alles«, antwortete er.
    Und so begann Miu noch einmal ganz von vorn.

    Hatte sie als Erstes das Kläffen gehört - oder war es doch dieses helle, überraschend scharfe Lachen gewesen, das sie nicht mehr vergessen würde?
    Auf jeden Fall stand Miu nun vor Pharao Tutanchamun und seiner Großen Königlichen Gemahlin, die anmutig auf einem Thronsessel saß, flankiert von zwei schwarzen, schlanken Hunden mit spitzen Ohren, die das Mädchen inzwischen neugierig beschnüffelten. Sie hielt ganz still, während alle anderen im Raum sich zu Boden geworfen hatten, mit Ausnahme von Eje, der das hohe Paar mit einer Verneigung begrüßte. Erst als ein Pfiff die Tiere zu ihrer Herrin zurückbefahl, wagte Miu, sich zu bewegen. Jetzt berührte endlich auch ihre Stirn die bemalten Fliesen, wie es das Protokoll gebot.
    Noch immer erschien ihr alles wie ein Traum, wenngleich ihre allmählich schmerzenden Knie ein untrüglicher Beweis dafür waren, dass sie nicht träumte. Der Wesir hatte sie durch endlose Korridore und immer neue freskengeschmückte Hallen geschleppt, gefolgt von Raia, die lauthals dagegen protestiert hatte, ihre Enkelin allein mit ihm gehen zu lassen. Schließlich hatte sich auch Mayet ihnen angeschlossen.
    »Erhebe dich«, hörte sie den König nun sagen. »Und schau mich an. Ich möchte sehen, wer mich da unbedingt sprechen will!«

    Miu gehorchte, was in dem ungewohnt engen Kleid allerdings nicht ganz einfach war, leicht verdutzt, weil er so unerwartet freundlich klang.
    Was für abstehende Ohren er hatte!
    Das linke bildete sogar einen noch kühneren Winkel als das rechte und hätte sie beinahe zum Lachen gereizt. Als schön konnte man ihn nicht gerade bezeichnen, dafür waren seine Lippen für ihren Geschmack zu breit und die Nase war zu knollig. Immerhin hatte er einen Charakterkopf, für den er sich nicht zu schämen schien, denn er trug sein Haupthaar militärisch kurz geschoren. Dass er dennoch sehr anziehend wirkte, lag an seinen Augen.
    Nein, eigentlich lag es eher daran, wie er sie ansah.
    Tutanchamun lächelte und erinnerte Miu dabei an einen kleinen Jungen, der ihr schon einmal früher begegnet war.
    Heute allerdings waren seine Brauen frisch

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