Der Kuss des Anubis
als Aufforderung auf und sprudelte einfach los.
»Der Falke muss zum Himmel fliegen«, sagte sie. »Genau das habe ich die beiden sagen hören. Wobei der Ältere mit dem Geierprofil mir irgendwie gefährlicher erschien. Aber der hat sich ja frühzeitig abgesetzt. Ich habe dann den anderen verfolgt, den Warzenkerl. Er hat auf dem Markt Verhandlungen mit dem Schlangenbeschwörer geführt, der dort die giftigsten Kobras verkauft. Als ich am nächsten Tag noch einmal nachschauen war, hat eine davon gefehlt, eine rötliche mit einem breiten schwarzen Schuppenband. Es sieht also ganz so aus, als wollten die beiden nicht mehr lange warten.«
Sie nahm all ihren Mut zusammen und sah ihn fest an.
»Ich habe große Angst um dich. Deshalb bin ich hier. Du solltest dich vorsehen, mein König, mögest du leben, heil und gesund sein!«
Hatte sie das alles wirklich gesagt? Nicht einmal Mius Herz schlug schneller als gewöhnlich. Dabei stand sie im Thronsaal - und sprach mit dem Pharao!
Tutanchamun hatte sich leicht zur Seite gewandt, als hätte er einen Schlag abbekommen. Als er wieder zu sprechen begann, zitterte seine Stimme.
»Meine Mutter ist durch Schlangengift aus dem Weg geräumt worden«, sagte er. »Und nun soll ich ihr auf die gleiche niederträchtige Weise nachfolgen müssen?« Er ballte die Faust und schlug damit so fest auf die Sessellehne, dass Miu Angst bekam, das Holz könnte splittern. »Aber sie haben sich verrechnet!«, rief er. »Wer auch immer dahinterstecken mag. Nein, meine Zeit ist noch nicht gekommen - und das werde ich sie alle spüren lassen!«
Dann erst schien er sich zu besinnen, dass er nicht allein war. Sein Blick glitt zu Anchesenamun, die plötzlich betreten wirkte und ihre Hunde zu kraulen begann, als brauche sie die Berührung der warmen Tierkörper.
Schließlich sah er wieder Miu an und schien sie mit seinem Lächeln zu umarmen.
Ihre Handflächen begannen zu glühen, als wäre sie aus Versehen zu nah an ein prasselndes Feuer gekommen.
»Du bist hier, um mich zu warnen, und ich weiß noch nicht einmal deinen Namen«, sagte er. »Wie heißt du?«
»Miu«, erwiderte sie. »Und das Kätzchen von damals ist noch am Leben.«
»Sie ist die wahre Tochter ihrer Mutter!«, murmelte Raia, als sie auf dem Heimweg waren. »Und das nicht nur äußerlich. Wie sie dich angefunkelt hat! Als ob sie dir am liebsten den Hals umdrehen würde!«
»Du magst sie auch nicht?«, sagte Miu.
»Ganz Waset tuschelt darüber, wie verzweifelt Anchesenamun sich eine Schwangerschaft wünscht. Dazu sei ihr jedes Mittel recht. Manche behaupten sogar, sie verwende geheimen Zauber, um dem Pharao endlich einen Sohn zu schenken. Keine der Nebenfrauen im Harim sei vor ihr sicher. Sobald der Pharao an einer zu viel Gefallen findet, gerate deren Leben in Gefahr.«
»Woher weißt du das alles?«
Großmama zuckte die Achseln. Die Linien um ihren Mund schienen plötzlich tiefer.
»Nofretete* hat unserer Familie einst großen Schaden zugefügt«, sagte sie. »Ebenso wie ihr Gatte, König Echnaton *. Da scheint es mir angebracht, bei ihrer einzigen noch lebenden Tochter besonders aufmerksam zu sein.«
Es klang so abschließend, dass Miu nicht weiter zu fragen wagte, und eigentlich war sie ja auch mit dem Wirrwarr ihrer eigenen Gefühle und Gedanken genug beschäftigt. Schweigend erreichten sie am späten Nachmittag das Haus, wo Raia sich sofort in ihr Zimmer zurückzog, um sich auszuruhen.
Miu befreite sich als Erstes aus dem engen Gewand, dann schaute sie nach den Katzen. Pau erteilte im Küchenhof ihren beiden Kleinen gerade eine Lektion im Fangen und Erlegen der Beute. Das dunkel gestromte Katzenjunge hatte sich nah an eine winzige Maus herangepirscht, dabei duckte es sich so tief, dass sein Bauchfell beinahe den Boden streifte.
Wild zuckende Schwanzspitze. Abgespreizte Schnurhaare. Aufgestellte Ohren. Die Hinterbeine traten mehrfach auf der Stelle, der Katzenkörper spannte sich und schoss nach vorn.
Die Maus machte einen Satz und war außer Sichtweite.
Verdutzt schaute sich das Junge um, begann sich dann aus Verlegenheit das Fell zu lecken, während Pau das Beutetier mit einem gezielten Pfotenhieb erneut in Stellung brachte.
Jetzt kam das lohfarbene Geschwisterchen an die Reihe, gleiche Bewegungsabfolge, dann erneut der Sprung - es stellte sich geschickter an oder hatte einfach mehr Glück. Seine spitzen kleinen Zähne bohrten sich in den Nacken der Maus und bissen zu.
Die Maus rührte sich nicht mehr.
Die
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