Der Kuss des Anubis
kleine Katze schien zu zögern, schaute zu Pau, die statuengleich danebensaß, dann erst begann sie zu fressen.
Ein Weibchen, wie Miu zu erkennen glaubte, als es mit hoch erhobenem Schwanz davonstolzierte, um sich einen ruhigen Platz für die Fellpflege zu suchen.
Bei diesem Anblick begann eine Idee in ihr zu keimen, die ihr ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Dann jedoch verwarf Miu sie gleich wieder, denn sie hatte Tutanchamun in diesem einzigen Punkt nicht die ganze Wahrheit gesagt. Pau war nicht die Feuerkatze von damals, sondern eine ihrer zahlreichen Töchter. Die kleine Lüge war ihr so einfach und leicht über die Lippen geflossen, bevor sie sich dagegen wehren konnte.
Und wenn schon! Denn was bildete sie sich überhaupt ein? Nur ein einziges Mal war sie bei Hof empfangen worden, und das hatte sie allein Raias alten Beziehungen zur Königsamme zu verdanken. Es würde keine weiteren Besuche im Palast geben, so viel stand fest. Miu hatte ihre Pflicht erfüllt. Tutanchamun und sein grimmiger Wesir
wussten nun Bescheid und würden die Attentäter zur Strecke bringen.
»Mein Herr, mögest du leben, heil und gesund sein«, begann sie, vor sich hin zu summen. »Noch tausend glückliche Jahre wünsche ich dir!«
Miu hielt inne, begann grundlos zu kichern.
Was war nur mit ihr los? Hatte Tutanchamun sie verzaubert? Oder einen Schatten auf sie gelegt? Oder warum sonst rollte plötzlich sein Name unablässig wie eine glatte, sorgfältig polierte Kugel in ihrem Kopf hin und her?
Sie hielt es plötzlich nicht mehr alleine aus. Sagte Raia nicht immer, dass eine Frau eine Frau brauche, um gewisse Dinge zu bereden?
Es gab nur eine Einzige, die dafür infrage kam.
Und bevor Anuket, die gerade mit ihren Gerätschaften zum Brotbacken den Hof betrat, noch den Mund aufmachen und erneut loszetern konnte, war Miu schon nach draußen geschlüpft.
Sie lief, so schnell sie konnte, allein schon, um sich selber vom Nachdenken abzuhalten. Der Nil kam bald in Sicht und mit ihm all die Trupps von Arbeitern, die mit den abschließenden Vorbereitungen für die jährliche Überschwemmung befasst waren. Jetzt wurde letzte Hand an die Verstärkung der Dämme gelegt, in der Hoffnung auf eine reichliche Flut. Andere Männer reinigten die Bewässerungsbecken, wieder andere hoben Auffanggruben aus, in die das Wasser später abfließen konnte.
Natürlich fiel ihr auf, dass die Häuser hier einfacher und kleiner waren als in ihrem Viertel, aber das konnte nicht der Grund sein, warum Papa ihr von heute auf morgen den Kontakt zu Iset untersagt hatte.
»Sie ist nun mal kein Umgang für dich.« Mehr war trotz allem Schmollen und Schmeicheln nicht aus ihm herauszubekommen gewesen. »Du tust jetzt einfach, was dein Vater von dir verlangt. Schließlich bin ich ein ganzes Stück älter als du und kenne das Leben. Und sei ganz sicher, Miu: Alles geschieht einzig zu deinem Besten!«
Ihr Bestes - pah!
Erst als Miu mit klopfendem Herzen vor dem Eingang des niedrigen Lehmziegelhauses stand, spürte sie, wie sehr sie die Freundin vermisst hatte. Ich lass mir nicht alles wegnehmen, dachte sie. Nicht einmal von ihm.
Sie klopfte an und war froh, dass es Iset war, die ihr öffnete.
»Miu!« Freudige Überraschung rötete ihr Gesicht. »Du bist so ziemlich die Allerletzte, mit der ich jetzt gerechnet hätte.«
»Darf ich trotzdem reinkommen?«
»Na ja, viel Zeit haben wir nicht gerade«, sagte Iset mit einem verlegenen Lächeln. »Wir stecken nämlich mitten …« Sie biss sich auf die Lippen. »Du wirst ja selber sehen. Komm!«
Sie ging voraus in den Küchenhof, auch er ein ganzes Stück kleiner und enger als bei ihnen zu Hause, wie Miu unwillkürlich registrierte. Die Herdstelle schien ihre besten Zeiten schon hinter sich zu haben. Trotzdem war sie mit Töpfen und Schalen geradezu überfüllt. Überall saßen Frauen, die nähten und stichelten, schnippelten und hackten, Nachbarinnen, Verwandte, Freundinnen, eine fröhliche, sichtlich gut gelaunte Gesellschaft. Dazwischen wuselten Isets kleine Brüder herum, die immer wieder einen Leckerbissen zugesteckt bekamen.
»Bereitet ihr ein Fest vor?«, fragte Miu.
»Das will ich meinen.« Sheribin, Isets Mutter, hielt beim Teigkneten inne und lächelte Miu an. »Schön, dass wir dich auch mal wieder zu Gesicht bekommen«, sagte sie. »Jetzt, wo uns bald eine Hochzeit ins Haus steht.«
»Du willst wieder heiraten?«, fragte Miu überrascht.
Isets Mutter war die untröstlichste Witwe, die sie jemals
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