Der Kuss des Anubis
schließlich. »Genauso wie deine Mutter und deine Großmutter, auch wenn jede behauptet, ganz anders zu sein! Scheint irgendwie bei euch in der Familie zu liegen.« Sie neigte den Kopf zur Seite und schnalzte leise. »Also gut, ich will es versuchen.
Normalerweise lässt er mich vor, wenn ich ihn darum bitte, weil ich ihn einst genährt und gewiegt habe, aber es gibt durchaus auch Tage, wo das anders ist. Wir werden also etwas Glück brauchen, Mädchen!«
Gefolgt von einigen Männern der Leibwache, für Miu inzwischen ein fast schon vertrautes Bild, nahmen sie nun den gewohnten Weg durch endlose Flure und Säle. Miu hatte keinen Blick für Wandmalereien oder Teppiche. Sie wollte nur noch eines: endlich bei ihm sein. Aus dem Korb drang jämmerliches Fiepen. Die Kleine schien die Lust am Warten ebenso zu verlieren wie sie.
»Warte hier!«, sagte Mayet schließlich. Dann verschwand sie hinter einer großen Tür.
Eine kleine Ewigkeit verging, wie es Miu vorkam. Alles hatte ohnehin sehr viel länger gedauert als beabsichtigt. Raia würde längst wach sein und sich über ihren Verbleib wundern. Und wenn Papa erst nach Hause käme und sie …
Die Tür war aufgegangen.
»Er empfängt dich«, sagte Mayet. »Aber ich muss dich warnen: Er ist nicht allein.«
Miu ließ den Korb sinken, kaum dass sie eingetreten war, dann warf sie sich ehrerbietig zu Boden. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Pharao sie zum Aufstehen ermutigte.
Von dem fröhlichen Spieler auf dem künstlichen See war nicht viel übrig geblieben. Ein schweres Pektorale bedeckte seine Brust, Finger und Gelenke waren mit Gold behängt. Zum ersten Mal sah das Mädchen ihn stark geschminkt, wodurch er älter und irgendwie fremd wirkte. Was ihre Kehle noch trockener machte, war der Mann, der
hinter ihm stand, Göttervater Eje, der sie streng, ja feindselig musterte, als bedeute ihr Erscheinen nur eine weitere Schererei.
»In dem Korb ist ein kleines Geschenk für dich, mein König, mögest du leben, heil und gesund sein«, begann Miu formell. »Doch nicht allein deswegen bin ich hier. Du erinnerst dich an den zweiten Mann, von dem ich im Zusammenhang mit dem Anschlag auf dich geredet habe? Der mit dem Geierprofil? Ich hab ihn wiedergesehen. Beim Opet-Fest. In der Barke des Generals.«
Eje stieß eine Art Zischen aus.
»Ich bin mir ganz sicher«, fuhr Miu fort. »Und ich wollte, dass du es so schnell wie möglich erfährst.«
»Haremhab!« Tutanchamun war aufgesprungen. Die königlichen Fächerträger zu beiden Seiten des Thronsessels ließen ihre Pfauenfedern erschrocken sinken. »Er war von Anfang an gegen mich. Und er gibt niemals auf. Das würde beides ins Bild passen!«
»Das Mädchen will diesen Mann lediglich gesehen haben, Einzig-Einer«, wandte der Wesir ein. »Nichts anderes hat sie gesagt.«
»Das trifft nicht ganz zu«, wandte Miu ein. »Ich habe ihn gesehen. Und er war es auch, der in der Schenke jenen schrecklichen Satz gesagt hat.«
»Dann müssen wir handeln, und zwar sofort.« Der Pharao wirkte entschlossen. »Lass den General rufen …«
»Wäre es nicht besser, alle Schritte zuerst mit Bedacht zu erwägen?«, wandte Eje ein. »Ungeduld gebiert oftmals die schlechtesten Strategien!«
»Mit Bedacht? So lange vielleicht, bis ich tot bin? Diesen Gefallen werde ich ihnen nicht tun! Womit wollen sie
es noch versuchen? Die Kobra, auf die sie als Erstes gesetzt haben, hat sich als Reinfall erwiesen. Wie wäre es jetzt vielleicht mit einem Königsmord auf eher traditionelle Art und Weise, mit einem scharfen Dolch, im Schutz der Nacht?«
Er klang verbittert, gleichzeitig aber auch zutiefst beunruhigt.
Du hast Angst, dachte Miu, und ich fürchte, du hast allen Grund dazu!
Keiner hatte in der ganzen Aufregung mehr auf den Korb geachtet, den sie achtlos auf dem Boden abgestellt hatte. Dabei musste der Tragegurt sich gelöst haben, denn der Deckel war plötzlich verschoben und aus der Öffnung ragten ein paar rote Öhrchen und eine kleine rosige Schnauze hervor.
»Miau!« Das klang eher frech als ängstlich. »Miau. Miau!«
Die Kleine schob sich weiter nach vorn, bis sie sich durch die Öffnung gezwängt hatte. Einen Moment schien sie zu zögern, als sie unter ihren Pfoten die ungewohnte Kühle der glasierten Fliesen spürte, dann jedoch hatte sie sich bereits daran gewöhnt und stolzierte munter drauflos.
Sie war nicht mehr allzu weit von Tutanchamun entfernt, als er endlich auf sie aufmerksam wurde. Der Pharao hielt mitten im Satz inne,
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