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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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zahlreichen Kohel-Gefäße, tauchte den Schminkgriffel ein und trug vor dem polierten Bronzespiegel sorgsam eine dünne Schicht dunkelgrauen Galenit auf Ober- und Unterlid auf. Den Schluss bildete fein zerstoßenes Ockerpulver für die Lippen, womit sie allerdings
äußerst sparsam umging, da die Farbe Rot Seth zugeschrieben wurde, dem grausamen Gott der Wüste.
    »Ich wünschte, ich hätte deine sichere Hand«, rief Miu, die jede Bewegung gespannt verfolgte. »Bei mir fallen die Striche niemals so gleichmäßig aus!«
    »Reine Übungssache«, sagte Großmama. »Und gräm dich nicht, denn dir sind ohnehin genügend bewundernde Blicke sicher. Deine Haut ist prall und strahlend, während mir im Kampf gegen Falten und Runzeln nur diese unverschämt teure Tinktur aus Weihrauch, Wachs, Olivenöl und Zyperngras bleibt.« Sie zog eine Grimasse, die das Spiegelbild zurückwarf. »Und was bringt all dieser Aufwand? Nichts, sage ich dir. Rein gar nichts!«
    Sie sah so übertrieben verzweifelt drein, dass Miu laut lachen musste.
    »Jetzt her mit dir und dem Kamm!«, befahl sie. »Wie schaffst du es nur, binnen kurzer Zeit solch einen Wirrwarr auf deinem Kopf hinzubekommen?«
    Es ziepte ordentlich, aber das Mädchen hielt still, und nach einer Weile genoss sie das gleichmäßige Striegeln sogar. Raias geschickte Hände teilten die Strähnen und begannen mit dem Flechten. Alles war friedlich und ruhig. Warmes Nachmittagslicht fiel herein, die Katzen hatten ihr Versteck wieder verlassen und lagen träge zu ihren Füßen. Die lastende Hitze des Sommers wich allmählich; jetzt brach die Zeit der milden, strahlenden Herbsttage an.
    »Wo steckt eigentlich das zweite Junge?«, sagte Großmama plötzlich. »Manchmal könnte man fast glauben, dass sie das Talent, sich nach Belieben unsichtbar zu machen, bereits mit auf die Welt bringen!«
    Als hätte Pau verstanden, worum es ging, hob sie den
Kopf und begann zu blinzeln. Der Kater biss seiner Mutter spielerisch in den Schwanz und bekam einen empfindlichen Pfotenhieb versetzt.
    Miu schluckte. Jetzt also war es so weit und sie hatte Rede und Antwort zu stehen!
    »Ich habe es in den Palast gebracht«, sagte sie. »Der Pharao war so traurig über den Tod von Ta-Mau, das hast du doch mit eigenen Ohren gehört. Da wollte ich ihm eine Freude machen. Wie damals er mir, als wir beide noch Kinder waren.«
    »Du hast - was?« Raia hatte das bunte Haarband sinken lassen, mit dem sie ihr Werk gerade beschließen wollte. »Wann?«, stieß sie hervor.
    »Während du dich ausgeruht hast«, sagte Miu. »Ich wollte nicht stören. Da bin ich einfach losgegangen.«
    »Miu!« Der Tonfall ihrer Großmutter war scharf geworden. »Schau mich bitte einmal an!«
    Miu gehorchte widerwillig.
    »Hast du eigentlich nichts von dem begriffen, was ich dir erklärt habe?« Raias dunkle Augen blitzten. »Du allein im Palast der leuchtenden Sonne , welch halsbrecherischer Wahnsinn! Ich hätte dich für klüger gehalten oder zumindest für gehorsamer. Der Hof ist ein äußerst gefährlicher Ort, vor allem für dich. Wie oft muss ich dir das noch einhämmern?«
    »Aber ich hab doch nur …«
    »Du gefällst ihm und das schmeichelt dir. Was ich durchaus verstehen kann! Aber die Große Königliche Gemahlin duldet keine Rivalinnen, erst recht nicht, wenn sie auch noch mit Geschenken um die Gunst des Pharaos buhlen. Ihre Rachsucht ist berüchtigt. Und sie fackelt nicht lange,
wenn sie jemanden aus dem Weg räumen will. Muss meine einzige Enkelin das alles am eigenen Leib ausprobieren?«
    »Muss sie nicht und wird sie nicht!«, konterte Miu. »Die Große Königliche Gemahlin ist nämlich schwanger. Und gebuhlt hab ich auch nicht - um gar nichts! Bist du jetzt endlich beruhigt?«
    »Schwanger?« Raia schloss die Augen. »Bist du ganz sicher? Oder ist es wieder einmal nur ein gezielt gestreutes Gerücht?«
    Leider nicht, hätte Miu beinahe geantwortet, ich glaube ihr. Sosehr ich mir auch wünschen würde, sie hätte gelogen!
    »Ich hab es mit eigenen Ohren gehört - aus ihrem königlichen Mund«, antwortete sie stattdessen.
    Großmamas Gesicht wirkte plötzlich eingefallen; der Atem ging schwer.
    »Was hast du denn auf einmal?«, sagte Miu beunruhigt. »Doch nicht etwa wieder diese Schmerzen in der Brust?«
    »Nein, aber diese Neuigkeit macht alles ja nur noch schlimmer!« Raia schüttelte den Kopf, als könne sie kaum glauben, was sie da zu hören bekam. »Jetzt wird Anchesenamun erst recht zur wütenden Bestie, sollte jemand auch

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