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Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Titel: Der Kuss des Engels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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jemand eine Ausbildung abbricht?« Sein Blick verriet, dass er ihre Verlegenheit genoss.
    Sie konnte ihm nicht verdenken, dass es ihm gefiel, den Spieß einmal umzudrehen, aber dann musste er auch mit einer ehrlichen Antwort leben. »Kommt auf die Gründe an.«
    Er nickte und nahm einen weiteren Zug an der Zigarette. »Es gab mehrere. Zum Beispiel das Zölibat.«
    Sophie merkte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg, obwohl es doch das Natürlichste der Welt war, dass ein junger Mann Lust auf Sex verspürte. Rasch ging sie hinüber zur Kaffeemaschine und öffnete auf der Suche nach Tassen den erstbesten Schrank, damit er es nicht sah.
    »Eine Tür daneben«, wies Jean sie ein. »Ursprünglich wollte ich wirklich Priester werden, also habe ich mir schon ab dem ersten Semester vorgenommen, die Finger von Frauen zu lassen. Schon der Wunsch nach Sex ist für die Kirche ja bekanntlich eine Sünde, die gebeichtet werden muss.« Er schnaubte und zog erneut an seiner Zigarette. »Weißt du, was strenge gedankliche Keuschheit mit einem Menschen anstellen kann?«
    Sie schüttelte den Kopf, während sie die Tassen füllte, die sie gefunden hatte. »Nein, was?«
    »Sie treibt dich in den Wahnsinn. Hast du schon mal versucht, bewusst nicht an etwas zu denken, das du unbedingt haben wolltest?«
    Sofort kam ihr Rafe in den Sinn. »Ja. Es funktioniert überhaupt nicht.«
    Er musterte sie neugierig, aber darauf wollte sie ihm gegenüber gewiss nicht eingehen.
    »Trinkst du deinen …«
    »Milchkaffee, Sophie! In welchem Land sind wir denn?«, zog er sie auf.
    »Bei diesem ganzen Gerede über das Zölibat könnte man es für den Vatikanstaat halten«, gab sie grinsend zurück.
    »Höchstens der an Renegaten verlorene Außenposten.« Er ging zum Kühlschrank und klopfte im Vorübergehen die Zigarette am Rand eines Aschenbechers auf dem Tisch ab. Sophie kam ein Spruch aus ihrer Schulzeit in den Sinn. Ob es wirklich nach Asche schmeckte, wenn man einen Raucher küsste? Hallo? Erde ruft Sophie! Was ist nur los mit mir?
    Jean holte eine angebrochene Plastikflasche Milch hervor und reichte sie ihr, nachdem er seinen Kaffee zu einem hellen Beige verdünnt hatte. Sie ahmte es nach, bevor sie ihm zurück zum Fenster folgte.
    »Weißt du«, nahm er den verlorenen Faden wieder auf, »ich glaube, dass es zu psychischen Problemen führt, wenn man körperliche Bedürfnisse so massiv unterdrückt. Viele wollen das nicht wahrhaben, weil sie meinen, der Geist müsse den Körper beherrschen. Das kann er auch. Aber wenn daraus ein ewiger Kampf wird, nimmt es krankhafte Züge an. Wie bei einer Essstörung, verstehst du?«
    Sie nickte. »Je mehr die Mädchen abnehmen wollen, desto mehr drehen sich ihre Gedanken um das Thema Essen.«
    »Und wenn die Psyche erst einmal so viel Schaden genommen hat, haben auch Dämonen leichtes Spiel und machen alles noch schlimmer. Als ich das erkannt hatte, wusste ich, dass ich das Risiko nicht eingehen wollte.«
    »Dann bist du nur deshalb kein Pfarrer geworden, weil du Angst hattest, pervers zu werden?« So etwas hatte sie noch nie gehört.
    Er schüttelte den Kopf und nahm einen besonders langen Zug an der Zigarette. »Nein, da gab es schon mehr Gründe. Die katholische Kirche ist in vielerlei Hinsicht gespalten. Ich … bin mit gewissen Erfahrungen in dieses Studium gegangen und hatte gehofft, ich würde dort Gleichgesinnte finden, aber …« Wieder ein Zug. »Was den Glauben an Dämonen angeht, gibt es nur zwei Gruppen. Die einen sind so modern und aufgeklärt, dass sie es für Unsinn halten. Die anderen, die praktizierenden Exorzisten, sehen den Teufel überall. Für die ist Harry Potter eine Anleitung zur Hexerei und Rockmusik ein Freifahrtschein in die Hölle. Highway to hell.« Freudlos lachte er auf. »Beide Seiten sind auf ihre Art fanatisch – und wollen nur sehen, was in ihr Bild passt. Aber wahrscheinlich wollen wir das alle.« Er ging erneut zum Tisch und drückte die Zigarette aus. »Genug davon.« Zur Abwechslung nippte er an seinem Kaffee. »Du wolltest mir von deinem Gespräch mit diesem Abbé Richet erzählen?«
    »Na ja, eigentlich bin ich hier, weil ich nach seinen Antworten auch nicht schlauer war«, gab sie zu.
    Jean grinste. »Kein Wunder, wenn er dir weisgemacht hat, die Engel verlangten, dass du Schleier trägst.«
    »Ja, zieh mich noch ein bisschen auf, wenn’s dir Spaß macht. Was hat er denn sonst damit gemeint?«
    »Er bezieht sich auf eine Stelle aus dem ersten Brief an die Korinther.

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