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Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Titel: Der Kuss des Engels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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Wie Paulus sie gemeint hat, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben, aber es gibt verschiedene Lesarten. Manche sind der Ansicht, dass Paulus – wie die meisten Männer seiner Zeit – wenig dafür übrig hatte, dass Frauen in der Gemeinde gleichberechtigt sein sollten. Diese Leute unterstellen, dass er nur deshalb predigt, unverschleierte Frauen im Gottesdienst seien unzüchtig. Es stellt sich allerdings die Frage, warum er sein Gebot mit dem Zusatz ›wegen der Engel‹ begründet. Da gäbe es ja auch eine Menge anderer, nahe liegenderer Argumente, die man sich aus den Fingern saugen kann. Zum Beispiel, dass die armen Männer dann vom Beten abgelenkt werden könnten.«
    Sophie stellte sich Pascal in der Kirche vor und musste schmunzeln. Einer wie er konnte sich bestimmt nicht auf das Evangelium konzentrieren, wenn eine schöne Frau auf der Bank vor ihm saß. Mich würde ein Mann wie Rafe allerdings auch mehr interessieren als die Predigt …
    »Aus diesem Grund gibt es Exegeten, die darauf hinweisen, dass in der Urkirche auch die Priester und Bischöfe manchmal mit diesem Ausdruck bezeichnet wurden. Dann wäre der Schleier also nötig, um den Pfarrer während des Gottesdienstes nicht zu unkeuschen Gedanken zu verleiten. Was ohnehin nicht funktioniert, wie wir wissen.«
    »Tut es nicht?«
    »Ein verpacktes Geschenk regt nur dazu an, darüber nachzudenken, was wohl darin sein mag. Erotik findet im Kopf statt, Sophie.« Sein Lächeln erreichte beinahe Rafes Intensität.
    »Das … habe ich gelegentlich schon bemerkt«, erwiderte sie bemüht kühl.
    »Nun, jedenfalls bezieht sich Paulus explizit auf betende und prophezeiende Frauen, Frauen also, die gerade Kontakt mit höheren Mächten aufnehmen. Wenn man dann noch davon ausgeht, dass ihm das Buch Henoch und ähnliche Schriften bekannt waren, die davon berichten, wie Engel der Schönheit irdischer Frauen erlegen sind, dann kann man ebenso gut behaupten, er habe Engel vor den Verlockungen der Weiblichkeit schützen wollen.«
    »Als ob sie willenlose Wesen wären, die dem nichts entgegenzusetzen hätten.«
    »Wie alle Männer«, meinte er grinsend. »Vermutlich hat er nur von sich selbst auf andere geschlossen.«
    »Wie gut, dass ich nie zur Messe gehe. Dann kann ich auch keine Engel in Versuchung führen«, spottete sie, doch ihr Lächeln blieb halbherzig. Selbst wenn die Dinge so einfach lägen, würde ihr ein Schleier in Bezug auf Rafe nichts nützen.
    Jean sah sie mitfühlend an. »Muss dir wie Hohn vorkommen. Es ist schwer, einem gefallenen Engel zu widerstehen. Ich nehme an, er lässt nicht locker?«
    Sie schüttelte nur den Kopf. Er lässt nicht locker, aber ich bin es, die ihn immer noch liebt. Doch das würde sie Jean nicht gestehen. »Er … hat ein paar Dinge zu mir gesagt, die mich nachdenklich gemacht haben. Ich nahm an, ein Priester sei am besten geeignet, um sie zu widerlegen, aber … Es war nicht überzeugend.«
    »Und jetzt soll ich mich daran versuchen«, stellte er fest. Nur ein Zucken des Mundwinkels verriet, dass er darüber auch ein wenig amüsiert war.
    »Wenn es dir nichts ausmacht.«
    Sein Blick wurde noch ernster. »Ich betrachte das nicht als Spiel, Sophie. Er versucht, dich auf seine Seite zu ziehen, und dafür ist ihm jedes Mittel recht. Wenn er dazu Lügen benutzt, wird es mir eine Freude sein, sie auseinanderzunehmen. Aber was machst du, wenn er die Wahrheit sagt? Das Problem sind nicht seine Argumente, sondern deine Gefühle für den Mann, den du in ihm siehst.«
    »Was, wenn noch ein Rest von ihm in ihm steckt?« Sie wusste, dass es ein Fehler war, es vor ihm auszusprechen, doch es war ihr herausgerutscht.
    »Ja, was dann, Sophie? Ist er deshalb kein Dämon mehr? Gibst du dich ihm dann hin?« Er ging zum Spülbecken, kippte den Rest Kaffee hinein und knallte die Tasse so hart auf die Arbeitsplatte, dass Sophie glaubte, das Porzellan müsse springen.
    Schweigend sah sie ihm nach, als er hinausging. Er hatte recht, aber sie wusste nicht, was sie tun sollte. Alles war denkbar und undenkbar zugleich. Die Entscheidung lag bei ihr, nicht bei ihm, und sie würde sie erst treffen können, wenn es ihr gelungen war, sich ein umfassendes Bild zu machen – ihre Gefühle und ihre Möglichkeiten in alle Richtungen auszuloten.
    Sie stellte ihre Tasse behutsamer ab und folgte ihm bis zur Tür des Wohnzimmers, das ebenso unbenutzt aussah wie bei ihrem ersten Besuch. Er stand an einem der Fenster und starrte hinaus.
    »Ich weiß noch

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