Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
Sie?«
Überrumpelt ließ sie sich von ihm aus dem Hof dirigieren. »Rue Jean de Beauvais«, antwortete sie, bevor er eine falsche Richtung einschlagen konnte. »Aber Sie haben mir noch nicht gesagt, wer Sie eigentlich sind. Ich meine, warum Sie hier sind.«
»Sie mir auch nicht«, stellte er nüchtern fest.
Wieder flackerte ihre Wut über die Angst und das Gefühl der Hilflosigkeit auf, das sie in seinem Griff empfunden hatte. Sie fuhr herum, um ihm ihren Zorn ins Gesicht schleudern zu können. »Haben Sie eine Ahnung, was für einen Schreck Sie mir eingejagt haben? Ich dachte, ich würde sterben! Es ist mein gutes Recht, ein paar Erklärungen zu verlangen.«
Er erwiderte ihren Blick ernst und beherrscht, doch in seinen Augen blitzte Ärger auf. »Es tut mir leid, dass ich grob werden musste, aber Sie waren im Begriff, einen schweren Fehler zu begehen. Diese Kerle hätten Sie ganz anders angefasst.«
Sophie presste die Lippen zusammen und wandte sich ab. Jean Méric wartete, bis sie von selbst weiterging. Es lag auf der Hand, dass er recht hatte. Verbrecher wollten keine Zeugen, und sie hatte keine Ahnung, wie die Männer auf ihre Einmischung reagiert hätten. Trotzdem saß ihr der furchtbare Moment noch zu sehr in den Knochen, um diesem Fremden dafür dankbar zu sein. »Warum waren Sie dort? Sind Sie so etwas wie ein verdeckter Ermittler?«
Er schnaubte. Hörte sie da Belustigung heraus? Sie warf einen Seitenblick auf sein Gesicht, doch darauf zeigte sich eher Verdruss.
»Das ist kompliziert.« Als sie nur abwartete, fuhr er fort: »Sagen wir, dass ich den dreien gefolgt bin, weil ich wusste, dass sie nichts Gutes vorhatten. Ich … habe ein Gespür für so etwas.«
Sophie verzog das Gesicht. »Okay, vielleicht wollen Sie es mir nicht sagen, aber Sie müssen mich auch nicht für dumm verkaufen.«
»Heute Nacht haben Sie sich jedenfalls nicht besonders klug verhalten«, versetzte er lakonisch.
Wieder sah sie ihn an, doch auch jetzt zeigte er kein Anzeichen dafür, sich über sie lustig zu machen. »Ich habe meine Gründe.«
»Die haben wir alle.«
Und er hat ein spezielles Talent dafür, mich auf die Palme zu bringen. »Danke, ich habe begriffen, dass ich Ihnen auf die Nerven gehe. Sie mir auch. Können wir es dabei bewenden lassen und zum Wesentlichen kommen?«
»Und das wäre?«
»Ich muss wissen, wo ich den Mann im hellen T-Shirt finden kann.«
Er blieb so abrupt stehen, dass sie unvermittelt seinem Beispiel folgte und ihn verblüfft ansah. Sein Blick war finster, als hätte sie ihn schwer beleidigt. »Ausgerechnet den? Warum? Was haben Sie mit ihm zu schaffen?«
Sophies Gedanken überschlugen sich. War er doch ein Polizist und beschattete Rafe – oder seinen Doppelgänger –, weil jener in üble Machenschaften verstrickt war? Warum so viel Feindseligkeit? Er klang, als sei Rafe der Schlimmste der drei. »Das … das ist eine private Sache.«
»Mag sein, aber ich will sichergehen, dass Sie wissen, worauf Sie sich da einlassen.«
Das war eindeutig eine Warnung. Was in aller Welt geht nur hier vor? »Ich muss wissen, ob er der ist, für den ich ihn halte. Dazu muss ich ihn sprechen – allein natürlich. Mit den anderen Kerlen will ich nichts zu tun haben.«
Jean sah sie an, als sei sie vollkommen irre. »Dazu kann ich nur sagen, dass es ratsamer wäre, wenn Sie sich von ihm fernhielten. Jedes Wort, das Sie mit ihm wechseln, ist zu viel.«
Riskierte sie ihr Leben, wenn sie mit ihm sprach? Das war sicher übertrieben. Aber ihre Zweifel wuchsen. Konnte es hier wirklich um Rafael Wagner gehen, der niemals jemandem etwas antun würde? »Also schön, ich hab genug von diesen ganzen Andeutungen. Wissen Sie, wie lange sich dieser Mann schon in Paris aufhält? Ist er ein Verbrecher, den Sie seit Jahren dingfest machen wollen? Dann kann er nämlich nicht der sein, den ich suche. Ich habe ihn vor zwei Tagen zufällig auf einem Boot gesehen und glaubte, meinen Verlobten in ihm wiederzuerkennen.«
Jeans Brauen zuckten – überrascht? Doch seine Miene wurde unergründlich. »Er ist seit ein paar Wochen, höchstens zwei, drei Monaten hier.«
Sophie spürte ihr Herz stolpern. Er ist es! Er ist hier! »Sind Sie sicher? Ich dachte, er sei tot!«
»Heilige Mutter Gottes«, flüsterte Jean. Mitgefühl lag in seinem Blick, aber sie wartete vergeblich darauf, dass er ihre überschäumende Freude ein wenig teilte.
»Sie müssen mir sagen, wo er wohnt! Wenn er sich irgendetwas hat zuschulden kommen
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