Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
Wange hinab, bis sie von der Hand des Fremden aufgehalten wurde. Noch immer drückte er ihre Lippen gegen die Zähne, schnitt ihr fast die Luft ab, sodass ihr Atem schnell und schnaufend ging.
»Du musst völlig verrückt sein«, murmelte er. »Was sollte das werden? Wolltest du dich umbringen lassen? Diese Kerle sind gefährlich.«
Was? Seine Worte verwirrten sie so sehr, dass sie im ersten Moment nur dastand und nach Luft schnappte, nachdem er sie losgelassen hatte. Plötzlich ging ihr auf, dass nichts mehr sie daran hinderte, die Verfolgung wieder aufzunehmen. Vielleicht konnte sie noch aufholen und … Sie kam nicht einmal bis in den Durchgang, bevor er sie erneut am Arm gepackt hatte.
»Scheiße, was soll das? Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?«
Sie sah sich nach ihm um, doch viel mehr als einen Umriss und einen helleren Fleck, wo sein Gesicht sein musste, konnte sie in der Finsternis nicht erkennen. »Lass mich los!«, fuhr sie ihn an. »Deinetwegen werde ich ihre Spur verlieren.«
»Vielleicht wäre das besser für dich.«
»Woher willst du das wissen?« Erneut versuchte sie, sich loszureißen. »Du kennst mich doch gar nicht!«
»Aber ich kenne sie.«
Sophie hielt inne. »Du weißt, wer sie sind?«
»Das habe ich gerade gesagt, ja.«
»Und jetzt?« Ihre Wut über den Schreck, den er ihr eingejagt hatte, verlieh ihr Mut. »Wirst du es mir verraten?«
In seinen Worten schwang ein schiefes Lächeln mit. »Kann ich dich dann loslassen, ohne dass du sofort wieder in dein Unglück rennst?«
Sie versuchte, endlich wieder klar zu denken. Wenn er ihr sagen konnte, wo Rafe wohnte, würde ihr das die gefährliche Tour durchs nächtliche Paris ersparen, von der sie schon jetzt mehr als genug hatte. Aber konnte sie ihm vertrauen? Zumindest klang er nett, und wenn er ihr Übles gewollt hätte, wäre er wohl längst über sie hergefallen. »Okay. Ich muss wissen, wo …«
Er gab ihren Arm frei, blieb aber so nah, dass sie niemals entwischt wäre, wenn sie es versucht hätte. »Ich muss erst mal nach dem Verletzten sehen.«
»O Gott, natürlich!« Wie hatte sie das vergessen können?
Der Fremde drängte sich an ihr vorbei in den Durchgang und eilte auf den Hof. Sophie folgte ihm besorgt. Mechanisch rückte sie den Gurt auf ihrer Schulter wieder zurecht. Dass sie immer noch die Jacke in der Hand hatte, kam ihr grotesk vor, doch ihre Finger hatten sich hineingekrallt und lösten sich nur widerstrebend. Welche Nummer hatte der französische Notruf doch gleich? Wenn der Junge einen Krankenwagen brauchte … Erstaunt sah sie sich um. Bis auf sie selbst und den Fremden, der bereits hinter dem Auto und den Mülltonnen suchte, war der Hof leer. »Wo ist er hin?«
»Hat ihn wohl doch nicht so schwer erwischt. Mit ein paar Prellungen kann man immer noch laufen, wenn’s sein muss«, behauptete der junge Mann, den Sophie im Mondlicht endlich besser sehen konnte.
Der Typ im dunklen Mantel! »Du bist ihnen auch gefolgt!« Ihr Blick glitt zu seiner Rechten, doch die Waffe musste er bereits eingesteckt haben. Er trug den Mantel offen und darunter Hemd und Hose – ebenfalls dunkel, aber in Stoff und Schnitt eher sportlich als elegant.
»Du hast einen Hang dazu, das Offensichtliche auszusprechen«, stellte er fest. Für einen Franzosen war er groß, aber bei Weitem kein Riese und dazu sehr schlank. Sein Gesicht wirkte trotz des Dreitagebarts hager, wozu die vollen Lippen einen sympathischen Kontrast darstellten.
»Ach ja? Und wann habe ich Ihnen eigentlich das Du angeboten, Monsieur …«
»Méric, Jean.« Zu ihrer Überraschung reichte er ihr die Hand. Sie anzunehmen, war ein Reflex, den sie nicht unterdrücken konnte. »Und mit wem habe ich das Vergnügen, Mademoiselle? Oh, Verzeihung. Madame.«
»Madame?« Sie folgte seinem Blick zu ihrer Linken. »Ach so, der Ring. Nein, ich bin nicht verheiratet. In Deutschland trägt man den Ehering rechts. Ich heiße Sophie Bachmann.«
»Sie sind Deutsche? Kaum zu glauben.« Er lächelte. »Ich hab’s nicht rausgehört.«
»Danke.« Geschmeichelt erwiderte sie das Lächeln, doch sie fühlte sich noch immer gehetzt. Wer war dieser Mann, und warum verfolgte er Rafe? Wäre es besser zu verschwinden, weil vielleicht doch jemand die Polizei gerufen hatte, die ihnen unangenehme Fragen stellen würde? Ganz abgesehen davon, dass sie sich gemütlichere Orte vorstellen konnte, um über ihre Aussprache zu plaudern.
»Kommen Sie, ich bringe Sie nach Hause. Wo wohnen
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