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Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Titel: Der Kuss des Engels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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Rücken zuzuwenden. Hatte dort nicht gerade etwas geraschelt? Sie hielt inne, doch in der Stille hörte sie nur die Stimmen aus dem Hinterhof deutlicher. War das wirklich Rafe? Verwundert wagte sie sich noch einen Schritt weiter, drückte sich an den leeren Türrahmen, als könne sie mit ihm verschmelzen und unsichtbar werden. Das kann nicht sein …
    Im gegenüberliegenden Gebäude klaffte die dunkle Mündung eines breiten Torwegs, der vermutlich den Haupteingang zu diesem Hof darstellte. Ein paar Mofas und ein Auto parkten hier zwischen Mülltonnen und Regenrinnen. Sämtliche Fenster im untersten Stockwerk waren vergittert, die Wände stellenweise mit schwarzem Gekritzel verschmiert. Sophie zählte vier Männer, von denen sie einen an diesem Abend noch nicht gesehen hatte. Er schien ihr jünger als die anderen, und wenn das trübe Licht sie nicht täuschte, hatte er ein nordafrikanisch anmutendes Gesicht. Der Kräftige ließ ihn gerade wieder los, aber der Schmächtige stand schräg hinter ihm und verhinderte so eine überraschende Flucht. In ängstlichem Ton sprudelte der Junge etwas hervor, das nach Rechtfertigungen klang.
    Der Mann, der wie Rafe aussah – was sie im Halbschatten wieder nicht genau erkennen konnte –, unterbrach ihn mit einer scharfen Bemerkung. Rafaels Stimme. Sophie hätte jeden Eid geschworen. Doch seit wann sprach er fließend Französisch? Während ihres Urlaubs in Paris hatte er kaum einen zusammenhängenden Satz herausgebracht und sich mit Latein als zweiter Fremdsprache entschuldigt. Jetzt klang er wie ein Einheimischer. Sollte sie sich doch getäuscht haben?
    Der Schmächtige warf ebenfalls etwas ein, woraufhin der Glatzkopf eine barsche Frage stellte. Trotz mischte sich in die Antwort des Jungen. Sophie zuckte zusammen, als die Faust des Kräftigen vorschnellte. Prügel und Beschimpfungen prasselten auf sein Opfer ein, das sich krümmte und nur noch von dem Schmächtigen auf den Füßen gehalten wurde. Sie konnte nicht fassen, was sie sah. Der vermeintliche Rafe stand daneben und sah einfach nur zu! Rafe, der unbedingt Arzt hatte werden wollen, der Idealist, der nach Kolumbien geflogen war, um kostenlos malariakranke Kinder zu behandeln, sah ungerührt zu, wie ein Mann zusammengeschlagen wurde? Hier stimmte etwas nicht. Aber es war doch seine Stimme!
    Empört löste sie sich von der Wand, um einzugreifen, als sich wie aus dem Nichts eine Hand auf ihren Mund legte. Zugleich umfasste sie von hinten ein Arm und zerrte sie rückwärts. Ihr Aufschrei geriet unter der fester zupressenden Hand zu einem dumpfen Ächzen.
    »Klappe halten!«, fauchte es an ihrem Ohr.
    Sie sah nur noch, wie der Junge zu Boden sank, als der Schmächtige ihn losließ, dann hatte der Angreifer sie schon einen halben Meter in den Eingang gerissen. Sie wand sich in seinem unnachgiebigen Griff, versuchte, ihn mit Ellbogen oder Fuß zu treffen, während er sie einen weiteren Schritt rückwärts zog.
    »Halt still, wenn dir dein Leben lieb ist!«
    Sie erstarrte. Das Herz schlug ihr bis in die Kehle hinauf. Hatte er ein Messer? Eine andere Waffe? Irgendetwas Kantiges hielt er in der Hand, die sie nicht sehen konnte. Mit der anderen verschloss er ihr nicht nur den Mund, sondern auch fast die Nasenlöcher. Überdeutlich hörte sie die Luft darin pfeifen, hörte auch seinen Atem, roch eine Spur von Rasierwasser und Zigarettenrauch. Draußen näherten sich Schritte, Dreck knirschte unter Schuhsohlen. Jemand knurrte etwas, das im Widerhall der Schritte unterging, als die Männer den Durchgang betraten. Rafe und seine Begleiter würden nur drei oder vier Meter an ihr vorbeigehen. Sie spürte, wie sich ihr Angreifer spannte.
    »Keinen Laut!«, wisperte er und hielt den Atem an.
    Sie wagte nicht, sich zu rühren. Wenn er ein Messer hatte, würde er schneller zustechen, als Hilfe bei ihr sein konnte –  falls diese Schläger, dieser andere Rafe überhaupt auf die Idee kämen, ihr beizustehen. Zielstrebig marschierten sie im Halbdunkel vorüber, doch wie flüchtige Täter wirkten sie nicht. Sie schienen weder Entdeckung noch Verfolger zu fürchten. Erneut verwehrte das Dämmerlicht Sophie einen genaueren Blick auf Rafaels Gesicht. Dabei sah er sogar ungefähr in ihre Richtung, doch sogleich schob sich wieder Mauerwerk zwischen sie, und sie blieb gefangen in der Dunkelheit zurück.
    Ihr Kopf war leer, als weigere er sich, auch nur darüber nachzudenken, was ihr bevorstand. Ihre Kehle wurde eng. Eine Träne rann über ihre

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