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Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Titel: Der Kuss des Engels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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und reichte ihr die sehnige Hand. »Bonsoir, Sophie. Schön, Sie wiederzusehen.«
    Ihr fiel auf, dass seine Kleidung zerknittert wirkte wie die eines Clochards. Hatte er etwa darin geschlafen? Doch es umgab ihn derselbe dezente Geruch nach Rasierwasser und Zigaretten wie in der Nacht zuvor.
    »Setzen Sie sich doch«, bat er und deutete auf einen freien Stuhl, als sei sie nicht seinetwegen hier und könne weitergehen.
    »Bonsoir, Jean.« Sie kam der Aufforderung nach und musterte über den Tisch hinweg sein Gesicht. Sein Alter war so schwer zu schätzen wie seine Augenfarbe. Die lange Nacht und ein paar tief eingegrabene Linien um Augen und Mund machten ihn älter, aber sie glaubte nicht, dass er die dreißig überschritten hatte. Ihr wurde bewusst, dass sich nervöses Schweigen zwischen ihnen ausbreitete, doch ihr fiel nichts Belangloses ein, um es zu brechen. War es zu unhöflich, direkt zur Sache zu kommen?
    Die Erleichterung entlockte ihr ein Lächeln, als eine Kellnerin auf ihren Tisch zuhielt. Die Frau hatte das ergrauende Haar im Nacken aufgesteckt und trug verwaschene Jeans unter ihrer Schürze. Ein enges T-Shirt gab ihre mollige Figur preis, doch es gelang ihr, salopp statt vulgär auszusehen. »Salut, Jean«, flötete sie und setzte mit einem Nicken ein fröhliches Hallo für Sophie hinzu. »Was darf’s sein?«
    »Salut, Marie. Wie geht’s?«
    Die Kellnerin machte eine vage Geste. »Ganz gut. Aber bei dir sieht’s besser aus«, befand sie und grinste Sophie an.
    »Äh …«
    »Sophie und ich haben etwas … Geschäftliches zu besprechen«, erklärte Jean hastig. »Sophie, darf ich Ihnen Marie vorstellen? Sie betreibt dieses Lokal.«
    »Angenehm, Madame.« Mechanisch reichte Sophie ihr die Hand.
    »Ach, nennen Sie mich Marie! Das tun alle«, lachte sie.
    »Haben Sie schon gegessen?«, erkundigte sich Jean bei Sophie.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Dann bring uns doch die Karte, Marie.«
    »Das Getränk wie immer?«, hakte Marie nach.
    »Ja, wie immer. Nehmen Sie auch Rotwein, Sophie?«
    Sie nickte abwesend. Ihre Gedanken kreisten darum, was es zu bedeuten hatte, dass Jean ihre Angelegenheit als geschäftlich betrachtete.
    Marie holte zwei abgegriffene Klappkarten aus Pappe von einem Tischchen beim Eingang und reichte sie ihnen, bevor sie im Innern des kleinen Restaurants verschwand.
    »Die Galettes kann ich empfehlen. Maries Mann stammt aus der Bretagne und versteht sich wirklich darauf«, behauptete Jean, während sie die unzähligen Varianten dieser Spezialität des Hauses überflog.
    Sophie versuchte, sich zu entspannen. Jean schien nicht gewillt, ihr über einen schnellen Drink hinweg die Informationen zu geben, die sie wollte, und nach der vergangenen Nacht konnte sie sich Schlimmeres vorstellen, als mit ihm zu Abend zu essen. »Dann nehme ich den mit Ziegenkäse und Salat.«
    »Ausgezeichnet.«
    Marie brachte vier Gläser, Rotwein und eine Karaffe Wasser, schenkte ihnen ein und nahm ihre Bestellung entgegen. Als sie zu anderen Gästen weiterzog, setzte das verunsichernde Schweigen wieder ein. Jean sah Sophie nachdenklich an. Ihre Ungeduld gewann wieder die Oberhand. Gereizt suchte sie nach einer höflichen Formulierung der Frage, was zum Teufel ihn denn nun mit Rafe verband.
    »Mir sind einige Dinge noch nicht ganz klar«, sagte er plötzlich.
    Ach! Sophie schnaubte. »Was glauben Sie, wie es mir geht?«
    Er lächelte schief. »Das ist sicher alles verwirrend für Sie, aber ich weiß nicht, ob ich so viel daran ändern kann.«
    Was sollte das nun wieder heißen? »Wenn das nicht Ihre Absicht ist, verschwenden Sie meine Zeit. Dann habe ich keinen Grund, hier zu sitzen.«
    Sein geduldiger Blick besänftigte ihren aufflackernden Zorn. »Das bedaure ich, und wenn es mir möglich ist, werde ich Ihnen helfen. Aber ich kenne Sie nicht, also müssen Sie mir die Entscheidung überlassen, ob und wann ich Ihnen vertrauen kann.«
    Er musste ihr vertrauen können? Sophie nahm einen Schluck Wein, um ihr Erstaunen zu überspielen. War er so etwas wie ein Polizeispitzel? Jemand, der sich inkognito in der Unterwelt bewegte und um sein Leben fürchten musste, wenn er enttarnt wurde? Doch dann hätte der Gendarm sicher nicht in aller Öffentlichkeit mit ihm gesprochen. Es sei denn, es gehörte zur Rolle, gelegentlich Ärger mit dem Gesetz zu haben, ohne deshalb im Knast zu landen … 
    »Sophie?«, unterbrach er ihre mit ihr durchgehende Phantasie. »Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«
    Also doch Ermittler.

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