Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
erzählt. Hatte sie überhaupt jemals mit ihm getanzt, außer in einer Disco vielleicht? Ich glaube nicht.
Umso besser gefiel es ihr jetzt. Sie konnte ihm nicht nah genug sein, wollte seine Wärme und seinen Körper spüren, in seinem Duft schwelgen und vergessen, dass er nicht wusste, wer sie war. Als wieder ein Lied endete, sank sie auf unsicheren Beinen gegen seine Brust und legte die Arme um ihn. Er hielt sie umfangen, eine Hand auf ihrem Rücken, die andere tiefer. Ihr war, als schmelze ihre Hüfte in der Hitze, die von ihm ausging. Sie hob den Kopf und vergaß im selben Moment, ob sie es getan hatte, um geküsst zu werden oder etwas zu sagen, denn sie hielt auf halbem Weg inne, weil ihr Blick auf ein bekanntes Gesicht fiel.
Jean schob sich zwischen den Tänzern und den Bänken an der Menge vorbei, die den Uferweg versperrte. An seiner Seite entdeckte sie eine große, schlanke Frau, eine klassische Schönheit mit blonden, lässig zu einem Pferdeschwanz gebundenen Locken. Sophie fühlte sich gegen sie sofort klein und unscheinbar und richtete den Blick lieber wieder auf Jean. Er musste sie erkannt haben, denn er stutzte. Auch Rafe schien etwas zu bemerken, denn er wandte den Kopf, ohne sie loszulassen. Sein Körper spannte sich unter ihren Händen. Jeans Miene verfinsterte sich, doch er ging weiter, nickte nicht einmal zum Gruß.
Nur am Rande nahm Sophie wahr, dass die Musik wieder eingesetzt hatte und das bekannte Lied Jubel auslöste. Rafael kam ihr plötzlich fremder vor. Als sie zu ihm aufsah, lag etwas Raubtierhaftes in seinen Zügen, das sie nie zuvor an ihm gesehen hatte. Auf ihren fragenden Blick schüttelte er den Kopf. Seine Augen verloren den grimmigen Ausdruck.
Zu ihrem Entsetzen entschlüpfte ihr ein Gähnen. »Oh, entschuldige! Das liegt wirklich nicht an dir! Ich hab nur den ganzen Tag …«
»Ein letzter Tanz?«, unterbrach er sie belustigt.
Sie nickte. Es war ohnehin seltsam, so starr zwischen den Tanzenden zu stehen. Erneut bewegte sie sich im Einklang mit dem treibenden Rhythmus und dem Mann, dessen schiere Nähe ihre Zweifel zum Schweigen brachte. Doch die verzauberte Stimmung, die sie vor Jeans Auftauchen empfunden hatte, war dahin. Sie konnte sich nicht mehr so gehen lassen wie zuvor, spürte die Müdigkeit nach dem stundenlangen Studium der Stellenanzeigen und die zunehmende Entkräftung ihrer Beine. Als das Lied verklang, fühlte sie sich beinahe erleichtert.
Rafe nahm sie bei der Hand und bahnte ihnen einen Weg durch die Menge. Sobald sie den engeren Kreis verließen, fror sie durch die kühle Nachtluft auf ihrer schweißnassen Haut. Vom Internetcafé war sie direkt zum Treffpunkt mit Rafe geeilt, ohne noch einmal nach Hause zu gehen und ihre Jacke zu holen. Fröstelnd rieb sie gegen die Gänsehaut an. »Gott, ist das kalt«, sagte sie und drängte sich dankbar enger an ihn, als er seinen Arm um ihre Schultern legte.
»Du frierst an einem lauen Sommerabend?«
»Ja! Du hast doch auch geschwitzt. Findest du es etwa warm?«
»Vielleicht mache ich mir genug warme Gedanken.«
Lächelnd stellte sie fest, dass schon die Überlegung, woran er wohl dachte, die Temperatur ihrer Haut steigen ließ. Zumindest fühlte es sich so an.
»Wo soll ich dich hinbringen? Oder willst du noch nicht nach Hause?«
»Doch. Es ist wirklich schön hier«, sagte sie mit Blick auf die beiden Inseln, die mit ihren Bäumen und Bauwerken still und erleuchtet aus dem Fluss ragten. »Ein sehr romantischer Abend, danke!« Sie drehte den Kopf und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Aber ich bin wirklich müde.«
»Dann muss ich dich wohl oder übel ins Bett bringen«, befand er mit gespieltem Bedauern.
Sophie lächelte wieder und legte den Arm um seine Taille, um ihm näher zu sein. Sie hätte absolut nichts dagegen gehabt, ihn mit in ihre Wohnung zu nehmen, wenn sie allein dort gewesen wären. Doch Madame Guimard konnte sie das nicht antun. Die alte Dame würde niemals glauben, dass Rafe tatsächlich ihr Verlobter war, und selbst wenn, hielt sie nächtlichen Herrenbesuch wahrscheinlich immer noch für unschicklich. Ganz zu schweigen von der Peinlichkeit, dass sie etwas hören könnte … Nein, auf keinen Fall würde sie Rafael mit hinaufnehmen.
»Verrätst du mir noch, wo dieses Bett steht, oder soll ich einen von denen von seiner Bank schubsen?«, hakte Rafe amüsiert nach und nickte dabei zu zwei Clochards hinüber, die grummelnd ihr Nachtlager aufschlugen. Von vereinzelten Spaziergängern wie ihnen
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