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Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Titel: Der Kuss des Engels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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Bäume direkt am Fluss auf, und es lagen keine Schiffe vertäut, obwohl es einen Steg für die Batobus-Boote gab, die wie eine Buslinie in festem Takt ihre Stationen anliefen. Stattdessen gab es in die Uferbefestigung gebaute halbrunde Plätze, die mit ihren steinernen Rängen der römischen Arena ähnelten, doch nicht annähernd so groß waren. Sie kamen Sophie wie kleine Freilufttheater vor, deren Bühne der Fluss war. Auch ein Publikum schien sich zu sammeln. Einzeln oder in Grüppchen standen und saßen die Leute um einen der gepflasterten Halbkreise, der sich vor ihr auftat, nachdem sie sich mit Rafael unter den Zweigen einer riesigen Trauerweide hindurchgeduckt hatte. Freudige Erwartung lag in der Luft. Ein Mann mit ergrautem Bart beugte sich über einen großen, schwarzen Lautsprecher. Ein anderer hantierte mit Kabeln und einem Mikrofon herum.
    »Wird hier etwas aufgeführt?«, fragte Sophie überrascht.
    Rafe schmunzelte. »Ja, das könnte man so sehen. Für manche ist es sogar ein Drama. Aber ich glaube, die meisten haben Spaß daran.«
    »Du willst es mir also nicht verraten.«
    »Nein«, bestätigte er gut gelaunt und zog sie weiter. »Du wirst es sehen, wenn es losgeht.«
    Schweigend schlenderten sie bis zum Ende des Parks am Ufer entlang. Die Stille störte Sophie nicht, und sie hätte auch nicht gewusst, worüber sie reden sollte. So kompliziert, wie ihre Gespräche verliefen, war es angenehmer, einfach nur seine Gegenwart zu genießen. Seine Hand zu spüren. Zu wissen, dass sie nicht mehr so einsam auf der Welt war, wie sie sich ohne ihn gefühlt hatte. Solange sie schwiegen, war es fast, als hätte es die Monate der Trauer nie gegeben.
    Das Leben – oder Gott – oder das Schicksal – hat ihn mir zurückgegeben. Die Erkenntnis überwältigte sie auf einmal mit solcher Macht, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Tränen der Erlösung, die sie nicht weinen durfte, denn sie ahnte, dass der neue Rafe nicht mit ihnen würde umgehen können.

    Nacht hatte sich über die Stadt der Lichter gesenkt. Sophie fand, dass Paris diesen Namen niemals mehr verdient hatte als an diesem Abend. Laternen und erleuchtete Fenster sprenkelten das jenseitige Ufer. Ihr Schein glänzte auf dem dahinströmenden Wasser und verlieh ihm etwas Magisches, das den Blick in Bann zog. Scheinwerfer strahlten historische Gebäude an und wiesen gen Himmel, wo die Sichel des Mondes silbern schimmerte. Von der Musik aus den Lautsprechern übertönt, glitten die letzten Ausflugsboote lautlos durch die Dunkelheit. Ihre Lichter spiegelten sich auf dem Fluss und tanzten auf den Wellen, die sie selbst erzeugten. Schien nicht ganz Paris zu tanzen?
    Anfangs war Sophie befangen gewesen. Als Rafe mit ihr zu dem steinernen Halbrund zurückgekehrt war, hatten sich noch mehr Menschen versammelt und die ersten – in ihren Augen mutigen – Paare begonnen, ein paar Tanzschritte zu erproben. Mittlerweile drängte sich die Menge nicht nur in der kleinen Arena, sondern auch auf dem umgebenden Ufer. Von tapsigen Anfängern, die sich ständig gegenseitig auf die Füße traten, bis zu Könnern, die in komplizierten Figuren herumwirbelten, wiegten sich alle im mitreißenden Takt der Samba. Gelegentlich gönnte der hinter den vielen Leuten unsichtbare DJ ihnen eine Pause und legte ein langsameres Stück auf, doch das Motto des Abends war unverkennbar der brasilianische Rhythmus, zu dem sich die Beine wie von selbst bewegten, sobald sich Sophie an die Schritte erinnert hatte. Ihr Tanzkurs war so lange her, dass sie Rafes Zehen einige Male erwischt hatte, doch er war lachend darüber hinweggegangen. Nach einer Weile hatte sie sich entspannt, weil sich andere viel ungeschickter anstellten als sie selbst, und nun konnte sie sogar den herrlichen Blick auf die nächtliche Stadt wahrnehmen, ohne aus dem Takt zu kommen.
    Sie war seit der Tanzstunde nie gern auf Veranstaltungen gegangen, bei denen getanzt wurde. Nicht weil ihr das Tanzen selbst zuwider gewesen wäre, sondern weil sie dabei fremden Männern so nahe kam. Sie konnte nicht jede Aufforderung ausschlagen, nur weil es ihr unangenehm war, die Hitze einer unerwünschten Hand an der Taille zu spüren, schwitzige Finger in ihren zu halten oder gar an einen Schmerbauch gedrückt zu werden. Nach einem besonders lästigen Zwischenfall auf einer Hochzeit hatte sie sich sogar geschworen, sich nie wieder auffordern zu lassen. Das war gewesen, bevor sie Rafe kennengelernt hatte, und sie hatte ihm davon

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