Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
ließ.
»Discede, seductor! Tibi eremus sedes est«, erwiderte Jean ebenso unversöhnlich.
»Vielleicht solltest du dich einer Sprache bedienen, die sie versteht«, schlug Rafe lächelnd vor, doch in seinen Augen funkelte Hass.
Sophie sah, wie Jean ansetzte, eine Hand aus der Tasche zu ziehen, und sprang zitternd zwischen die beiden. »Nein! Schon gut, Jean, ich rede mit Ihnen. Rafe, geh nach Hause! Er wird mir nichts tun, aber dir vielleicht.«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Die beiden Männer starrten sich über sie hinweg an.
»Ist das wirklich dein Wille ?«, vergewisserte sich Rafe.
In Jeans Ausdruck blitzte Triumph auf, doch er behielt seinen Widersacher genau im Blick.
Sie hatte keine Wahl. »Ja, geh!«
Widerwillig drehte er sich um und ging den Weg zurück, den sie gekommen waren. Zweimal sah er über die Schulter, als falle es ihm schwer, sich loszureißen, aber vielleicht wollte er seinem Gegner auch nicht zu leichtfertig den Rücken bieten. Es schmerzte unerwartet heftig, ihn gehen zu sehen. Ihr war, als zerre ein unsichtbares Band ihr Inneres hinter ihm her, doch Haut und Knochen gaben es nicht frei. Die Sekunden, bis er um die Ecke verschwand, vergingen quälend langsam und doch zu schnell.
Jean schwieg, bis sie sich zu ihm umdrehte. Er hatte die Hände aus den Taschen genommen und sah weniger angespannt aus, aber sein Blick war noch immer ernst. »Ich weiß, dass Sie mich nicht anhören wollen, aber nachdem ich Sie mit ihm gesehen hatte, konnte ich nicht einfach so tun, als ginge mich das alles nichts an.«
»Es geht Sie aber nichts an!«, fuhr sie auf. »Halten Sie sich aus meinem Leben raus!« Sie kramte ihren Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Haustür.
»Himmelherrgott, ich verstehe ja, dass Sie ihn für Ihren Verlobten halten, den Sie lieben«, versicherte Jean. »Aber ich sehe, was er wirklich ist. Sie sehen nur, was Sie sehen wollen!«
Seine Worte brachten eine Saite in ihr zum Klingen. Sie konnte nicht völlig leugnen, dass sie etwas für sich hatten. Die Zweifel, die instinktiven Ängste, die sie verdrängt, die Rafe mit seiner ungestümen Leidenschaft beiseitegefegt hatte, regten sich wieder. Er benahm sich seltsam, daran war nicht zu rütteln, und er tat Dinge, die ganz und gar nicht zu ihm passten. Fragend sah sie Jean an, hoffte, er würde ihr endlich eine Erklärung bieten, die sie akzeptieren konnte.
»Bitte, Sophie«, sagte er sanft. »Ich weiß, Sie glauben mir nicht, aber egal, was Sie tun: Schlafen Sie nicht mit ihm!«
Sie war zu überrascht, um etwas zu erwidern.
»Er wird mit allen Mitteln versuchen, Sie zu verführen. Wenn Sie sich schon nicht von ihm fernhalten können, stellen Sie ihn auf die Probe! Er ist ein gefallener Engel, ein zukünftiger Dämon. Alles, was er will, ist …«
»Jean, das reicht!« Er ist wirklich ein Irrer. Wahrscheinlich krankhaft eifersüchtig. »Verschonen Sie mich endlich mit diesem Unsinn und lassen Sie sich nie wieder hier blicken!« Sie schlüpfte ins Treppenhaus und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
»Ich habe es Ihnen aufgeschrieben«, hörte sie es unerwartet ruhig hinter der Tür.
Etwas knisterte zu ihren Füßen. Sie tastete nach dem Lichtschalter und sah nach unten. Ein weißer, gefalteter Zettel steckte unter der Tür.
Als Jean das Licht einschaltete, lagen das Buch und der Zettel darin unverändert auf dem Küchentisch. Resigniert ließ er sich auf einen der alten Holzstühle fallen, der verdächtig knackte. Dieses leere Stück Papier, das zwischen den Seiten hervorlugte, hatte ihn auf die Idee gebracht, Sophie seine Botschaft schriftlich zu geben, denn er hatte geahnt, dass sie ihn auch dieses Mal nicht ausreden lassen würde. Jetzt konnte er nur noch hoffen, dass sie seine Warnung auf diese Art ernster nahm. Eine sehr vage Hoffnung.
Er griff nach der Flasche Rotwein, die nachlässig verkorkt noch vom Abendessen auf dem Tisch stand, und schenkte sich ein Glas ein. Sophie hatte mehr als deutlich gezeigt, dass sie ihn für den Gefährlicheren hielt, für verrückt und zudem eifersüchtig. War er das? Verdammt, ja! Sie in so inniger Umarmung mit diesem attraktiven Kerl zu sehen, hatte ihn in absolut unprofessionelle Wut versetzt. Wäre Geneviève nicht gewesen, wer weiß, wozu er sich hätte hinreißen lassen!
Er nahm einen kräftigen Schluck und stellte das Glas so heftig ab, dass Wein überschwappte und sich auf das Buch ergoss. »Verdammt!«, entfuhr es ihm. Rasch zog er das Buch aus der roten
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