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Der Kuss des Greifen (German Edition)

Der Kuss des Greifen (German Edition)

Titel: Der Kuss des Greifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Harrison
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insbesondere wenn die Situation gefährlich werden könnte, weil du dich dann nicht selbst verteidigen kannst. Und wir konnten es zu diesem Zeitpunkt nicht mit dir besprechen.«
    Als Carling sein Gesicht musterte, fand sie darin nichts als Ernsthaftigkeit. Sie entspannte sich ein wenig, nickte kurz und wandte sich wieder der offenen Tür zu, die Arme fest um den Körper geschlungen.
    Er rührte sich. Obwohl sie nicht wusste, was er vorhatte, trat sie schnell einen Schritt nach vorn. Sie hätte es nicht ertragen, wenn er sie in diesem Moment mit einer seiner herzlichen Gesten berührt hätte. Irgendwann würde er sie einmal zu oft berühren, dachte sie, und dann würde sie zerspringen wie überbeanspruchtes Porzellan. »Du hast noch zu lesen«, sagte sie knapp. »Und ich habe Unordnung zu beseitigen.«
    Eilig ging sie den sonnenbeschienenen Weg zu ihrem Arbeitshaus entlang. Dort blieb sie im Türrahmen stehen und nahm eine Bestandsaufnahme der Arbeit der vergangenen Nacht vor. In der Luft hingen ein Hauch von Ruß und das nachhallende Echo dunkler Energie, doch dagegen würden Sonne und Wind das Ihrige tun. Auf ihrem Arbeitstisch standen Kräuter, leere Krüge und ihr Tiegel mit Meersalz herum, und der Kamin war voll mit feuchter Asche. Der Kreis aus Meersalz, den sie ausgestreut hatte, lag noch auf dem Boden. Seine frühere reinweiße Farbe war schmutzig geworden.
    Sie sollte mit dem Salz anfangen, sonst würde sie es im ganzen Landhaus verteilen. Sie ging zum Schrank und holte einen Besen heraus, als die offene Tür von Runes heißer, sonnengleicher Ausstrahlung ausgefüllt wurde. Mit zusammengebissenen Zähnen packte sie den Besenstiel fester. Ein falsches Wort oder eine falsche Bewegung von ihm, und sie würde ihm den Besen über den Schädel ziehen, das schwor sie sich bei allen Göttern.
    »Du warst beschäftigt«, sagte er sanft. »Macht es dir etwas aus, wenn ich hier weiterlese?«
    Sie focht einen Kampf mit sich selbst aus, ehe sie sagte: »Nicht, wenn du dich ruhig verhältst.«
    »Ich verspreche, ganz brav zu sein«, sagte er freundlich.
    Seine Stimme schien wie eine federleichte Zärtlichkeit über ihre Haut zu streichen. Sie sträubte sich gegen die Empfindung und sagte: »Halt den Mund.«
    Er lachte, ein leises, heiseres Kichern, das alle kalten, dunklen Ecken des Zimmers mit Wärme füllte und so klang, als gehörte es zwischen seidene Laken. Sie warf ihm einen wütenden Blick zu und machte sich dann mit dem Besen über den Boden her.
    Er stand zu seinem Wort. Hätte er das nicht getan, sie hätte ihm wirklich eins übergebraten. Er rückte sich einen der Sessel in die Morgensonne an der offenen Tür. Dann machte er es sich bequem und öffnete ihr Journal. Sein zerzaustes Haar war von einer Aura aus strahlendem Gold umgeben, und sein schmales, elegantes Gesicht wurde reglos vor Konzentration.
    Ihr Herz sog diesen Anblick begierig in sich auf. Dann zwang sie sich dazu, sich abzuwenden, und ging an die Arbeit. Während sie aufräumte und Rune las, stahl sich nach und nach eine zarte, zerbrechliche Ruhe in das Haus und in ihren Geist. Als das Zimmer schließlich sauber und alle Utensilien wieder verstaut waren, legte sie einige Äste getrockneten weißen Salbei in den leeren Kamin. Der Salbei würde jeglichen Rest von Dunkelheit vertreiben, der noch an den Steinen haftete.
    Als der Morgen dem Nachmittag wich, setzte an den Rändern ihres Gesichtsfelds ein Flackern ein. Es war das verräterische Anzeichen dafür, dass sich ihre magische Energie wieder zusammenballte, und sie wusste, dass sie bald in die nächste Trance fallen würde. Sie weigerte sich, die Gefühle zu akzeptieren, die ihr den Magen zusammenzogen und ihren Mund trocken werden ließen. Sie wollte sich nicht eingesperrt fühlen und würde sich nicht von ihrer Angst leiten lassen. Runes Anwesenheit bot ihr die Chance, mit ihm gemeinsam mehr herauszufinden, als sie in den ganzen letzten zweihundert Jahren allein vermocht hatte.
    Am besten beschäftigte sie sich so lange erst mal. Sie ging in ihr Büro und blickte stirnrunzelnd in den leeren Schrank, in dem sie die schwarzmagischen Bücher aufbewahrte.
    Während sie ihn betrachtete, nagte sie an ihrer Unterlippe. Es war ein guter, solide gebauter Schrank aus Wacholder. In sein Holz hatte sie eigenhändig Schutz- und Bindungszauber eingeritzt. Die Arbeit hatte sie Tage gekostet, und sie verabscheute den Gedanken, das Möbelstück zu zerstören. Doch die Bücher hatten zu lange in diesem Schrank

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