Der Kuss des Greifen (German Edition)

Titel: Der Kuss des Greifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Harrison

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was das Wort bedeutete, hatte nicht verstanden, was er sagte. Sie hatte ihn für einen fremden, wunderschönen Gott gehalten, der sie mit einem heiligen Namen anredete …
    Als Rune spürte, dass sein T-Shirt feucht wurde, zog er sie an sich und wiegte sie hin und her. In ihrem Haar roch er eine Spur von Weihrauch und den sauberen, frischen Duft von Lavendel. Darunter lag ihr satter, weiblicher Geruch, und sie war so vollkommen, dass ihn bei dem Gedanken daran, dass sie sterben würde, Fassungslosigkeit und Empörung durchfuhren.
    Halt. Zischend stieß er den Atem aus. Da war es, das Wort, das ihm auf der Zunge gelegen hatte. Nur war es kein Wort, sondern eine Idee. Keine Schlussfolgerung, sondern eine Prämisse.
    Er vergrub das Gesicht in ihrer schlanken Halsbeuge und presste Carling fest an sich. Sie wollte sich bewegen, um einen Protest oder eine Frage zu äußern. Er murmelte: »Warte, nur eine Minute.«
    Er schlang seine magische Energie um sie, öffnete seine Wyr-Sinne weit und atmete erneut Carlings Duft ein.
    Wyr, insbesondere die älteren, die über starke magische Energie verfügten, konnten Krankheiten wittern, wie es Tiere konnten. Sie schmeckten heraus, ob Essen verdorben war – was es sehr schwierig machte, sie zu vergiften. Sie konnten riechen, wenn sich eine Verletzung entzündet hatte oder Schweißdrüsen eine Krankheit ausdünsteten.
    Carlings Forschungen waren dem Weg der modernen Medizin gefolgt. Sie hatte sich streng an die Forschungen von Louis Pasteur und Émile Roux gehalten und die Korrespondenz aufgezeichnet, die sie in den 1880er Jahren mit den beiden Ärzten geführt hatte. Dabei hatte sie detaillierte Fragen zur Entwicklung eines Tollwutimpfstoffs gestellt. Die beiden Wissenschaftler hatten wiederum den Vampyrismus mit großer Faszination studiert.
    Vampyrismus wies alle Merkmale eines durch Blut übertragenen Krankheitserregers auf. Er fand sich im Blut und bestimmten anderen Körperflüssigkeiten und hatte bei einem direkten Blutaustausch eine Infektionsrate von 98,9 Prozent. Über die Luft konnte er nicht übertragen werden, und unverletzte Haut fungierte als wirksame Barriere. Die Überzeugung, Vampyrismus sei eine Infektionskrankheit, war im modernen Denken so tief verankert, dass sie nicht mehr infrage gestellt wurde. Heute, im einundzwanzigsten Jahrhundert, basierten so gut wie alle medizinischen und wissenschaftlichen Forschungen über Vampyrismus auf dieser Prämisse.
    Aber all seine Instinkte sagten Rune, dass Carlings Energie stabil war. Sie roch nicht krank. Er dachte an die Frau, der er vor der Einwanderungsbehörde der Nachtwesen begegnet war. Die Krankheit dieser Frau war offensichtlich gewesen. Unter dem Fliederduft hatte der Makel an ihrer Haut gehaftet.
    Carling aber roch sexy und feminin, nach der aufreizenden Glut ihrer eigenen magischen Energie und der zarten, metallischen Note, die allen Vampyren gemein war.
    Für Rune roch sie sogar vollkommen gesund.
    »Ich hab’s. Ich weiß jetzt, was mich gestört hat«, sagte er. Er richtete sich auf und schob sie ein Stück von sich, als er sprach. Ihre Arme fielen seitlich herab. »Was wäre, wenn alles, was du versucht hast, nicht funktioniert hat, weil Vampyrismus gar keine Krankheit ist?«
    Grinsend blickte er auf dieses unvergessliche, wunderschöne Gesicht hinab, das für ihn zu einer Sucht geworden war. Carlings Miene war ausdruckslos, und ihre langen, mandelförmigen Augen fixierten etwas, das nur sie sehen konnte.
    Sein Magen zog sich zusammen. Er führte sie zu ihrem Bürostuhl und half ihr, sich zu setzen. Passiv wie eine Puppe folgte sie ihm.
    Eine leichte Wellenbewegung durchlief das Büro. Dann veränderte sich die Szenerie. Rune entspannte sich und ließ sich hineinfallen.
    Es ging wieder nach Vegas, Baby.

8
    Diesmal folgte er keinem Weg, doch die Veränderung der Energien fühlte sich wieder an wie eine Übergangspassage – ein Übergang, der irgendwie gebogen war. Es war, als würde er eine Treppe hinauflaufen, die in sich selbst mündete, oder um eine Kurve biegen und dahinter eine andere Landschaft erblicken, als er erwartet hatte. Er versuchte, das Gefühl festzuhalten, um es genauer untersuchen zu können. Doch es trieb vorüber und verschwand.
    Carlings Büro verblasste, und ein heißer, feuchter Abend umfing ihn. Orientierungslos blieb er stehen und nahm alles in sich auf.
    Irgendwo in der Nähe erklang das heisere, rhythmische Gebrüll von Ochsenfröschen. Rune sah auf. Dunkle, gezackte Spitzen von