Der Kuss des Greifen (German Edition)
gelegen. Sie konnte die verbliebene Boshaftigkeit spüren, die in das Holz eingedrungen war.
Widerwillig kam sie zu dem einzig möglichen Schluss. Sie konnte versuchen, den Schrank zu reinigen, doch das wäre zeitraubend, und auch danach würde sie keine empfindlichen Gegenstände darin aufbewahren können. Um wirklich sicherzugehen, dass alle dunklen Energien vernichtet waren, gab es nur eine Möglichkeit: Der Schrank selbst musste ebenfalls zerstört werden.
Carling stieß einen schweren Seufzer aus und holte einen Hammer und einen Schraubenzieher aus der kleinen Werkzeugkiste im Wandschrank des Büros. Dann fing sie an, den Schrank zu demontieren, indem sie auf die Verbindungsstellen einschlug.
Kurz nach dem ersten Hammerschlag tauchte Rune auf. Sie war so sensibel für seine Energie geworden, dass sie auch ohne hinzusehen genau wusste, wann er ins Zimmer trat.
»Daher also die Unordnung nebenan«, sagte er. »Du hast beschlossen, die unartigen Bücher loszuwerden.«
»Es war höchste Zeit.«
Er bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick, verzichtete jedoch auf einen Kommentar. Stattdessen sagte er: »Ich verstehe, der Schrank ist kontaminiert.«
»Ja. Ich gehe am besten auf Nummer sicher und verbrenne ihn.« Sie setzte die Spitze des Schraubenziehers an der Verbindungsstelle eines Bretts an, schlug mit dem Hammer darauf und hebelte die Holzteile auseinander. Laut krachend lösten sie sich.
Rune trat auf Carling zu und stellte sich hinter sie. Zu dicht. Zu nah. »Kann ich dir helfen?«, fragte er.
Wie typisch männlich. Man brauchte nur ein paar Werkzeuge zur Hand zu nehmen und anzufangen, auf etwas einzuhämmern, schon kamen sie in Scharen herbeigeströmt. Sie strich sich mit dem Handrücken die Haare aus dem Gesicht und sah ihn finster an. »Ich bin durchaus in der Lage, ihn selbst zu zerlegen.«
»Natürlich bist du das«, sagte er mit einem Lächeln. »Davon habe ich auch nicht gesprochen. Ich fragte, ob ich helfen kann.«
Verärgert zuckte sie die Schultern und trat einen Schritt zurück. Einen Moment lang betrachtete Rune den Schrank eingehend, dann packte er ihn an beiden Seiten. »Mit bloßen Händen könnte ich ihn auch auseinanderreißen, wenn ich wollte, du Teufelskerl. Aber ich wollte keine Kratzer an meinen Bürowänden haben.«
»Vertrau mir«, sagte Rune.
»Gut.« Sie hob die Hände und ließ sie wieder sinken. Die zerbrechliche Ruhe, die sie erlangt hatte, riss in Fetzen. Sie wollte ihren Besen zurück. Vielleicht würde sie ihm wirklich noch eine verpassen. »Wenn du mir Kratzer an die Wände machst, wirst du das Büro höchstpersönlich neu streichen.«
Über die Schulter hinweg warf er ihr einen amüsierten Blick zu. »Du hast vielleicht eine Laune.« Die Muskeln in seinem breiten, kräftigen Rücken spannten sich, als er mit kontrollierter Gewalt zudrückte. Der Schrank brach an den Verbindungspunkten auseinander. Ohne ihren Wänden auch nur einen Kratzer zuzufügen, machte Rune kurzen Prozess mit dem Schrank. Dann bückte er sich, um die Teile aufeinanderzustapeln. »Hast du einen Bindfaden?«
Sie ging zu dem geöffneten Werkzeugkasten und legte Hammer und Schraubenzieher hinein. Sie fand eine Rolle Bindfaden und warf sie hart nach ihm.
Die Rolle sauste mit solcher Geschwindigkeit durch die Luft, dass ein Mensch sie nicht hätte sehen können. Doch Rune streckte die Hand aus und pflückte sie lässig aus der Luft. Natürlich.
Flink schnürte er die Wacholderstücke zusammen, zog ein Taschenmesser, schnitt den Faden ab und steckte das Messer wieder ein. Ohne aufzusehen, warf er die Garnrolle zu ihr zurück. Hart.
Carling wich einen Schritt zurück und fing sie auf. Wütend starrte sie die Rolle an und schmetterte sie in die Werkzeugkiste, und plötzlich stand Rune direkt vor ihr. Zu nah. Natürlich. Er war immer zu nah, und er trat auf sie zu, noch näher, bis sich ihre Körper berührten.
Sie sah ihn unter zusammengezogenen Brauen an. »Du befindest dich in meinem persönlichen Bereich.«
»Das weiß ich.« Er senkte sein amüsiertes, sinnliches Gesicht zu ihrem herab. So leise, dass es wie ein kehliges Schnurren klang, fragte er: »Möchtest du mir vielleicht verraten, wie ich deine Stimmung aufhellen könnte? Es wäre mir eine Freude, dir so ziemlich jeden Gefallen zu tun.«
Sie starrte zu ihm hinauf, ihre Augen weiteten sich. Verlangen brandete zwischen ihnen auf, sowohl seines als auch ihres. Es loderte tief in ihrem Unterleib und legte sich schwer auf ihre Glieder,
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