Der Kuss des Greifen
allein in ihre Kajüte zurück, was Lysandra recht war.
Doch als sie Alis Ubbo erreichten, verging Lysandra das Lachen und selbst Arishat war schweigsam geworden, was gar nicht zu ihr zu passte.
Der Tag der Hochzeit kam rasch. Ihr Bruder Damasos stand neben ihr, als das Verhängnis seinen Lauf nahm.
Seitlich von Lysandra befand sich eine Statue des Melqart, des Baals von Tyros, der Stadt, aus der Arishats Familie ursprünglich stammte. Wo war sie hier nur hineingeraten? Die Situation erschien ihr einfach nur bizarr. Der Priester sprach phönizisch, von dem sie kein Wort verstand. Sogleich übersetzte er seine Worte, die er an Lysandra richtete.
Mehrfach überlegte Lysandra, die Sache auffliegen zu lassen, doch Arishats Verwandte waren hauptsächlich große, bärtige, grimmig dreinschauende Männer, sodass sie dies lieber unterließ. Sie bestätigte die Absicht, Arishat heiraten zu wollen. Die Ehe war ohnehin nicht rechtsgültig und bald wäre sie weit weg von Alis Ubbo und würde niemals wieder dorthin zurückkehren. Sie dachte auch an die Möglichkeit einer Annullierung, schließlich hatte sie nicht vor, die Ehe zu vollziehen. Nur wusste sie noch nicht, wie sie Arishat in dieser Nacht ausweichen würde können.
Cel, der Schuft, dem sie dies alles zu verdanken hatte, stand unberührt an einem Ende des Festsaals.
Hiram kam zu ihr herüber. »Mein herzliches Beileid, äh, meine Glückwünsche«, sagte er und blickte sich um, offenbar in der Hoffnung, dass Arishats Verwandte seine Worte nicht vernommen hatten. Doch diese schienen glücklicherweise nichts bemerkt zu haben.
»Mach das Beste daraus«, sagte Hiram mit gedämpfter Stimme. Lysandra nickte. Sie war wie benommen. Wie ein Traum zog das Festmahl an ihr vorüber. Sie brachte kaum einen Bissen herunter, auch wenn das phönizische Essen reichlich und schmackhaft war, weitaus üppiger die Speisen in Hellas, das mit seinen kargen Böden wenig zu bieten hatte.
Bald wurden Arishat und sie zu ihrem Schlafgemach geleitet. Lysandra brach der kalte Schweiß aus. Arishat würde doch nicht etwa erwarten, dass sie heute Nacht die Ehe vollzogen?
Hilfe suchend sah sie sich um, erblickte jedoch nur Hiram, der sie mitleidig anblickte, Celtillos’ undeutbare Miene und daneben Damasos.
»Na, Lysandros, fürchtest du, nicht Manns genug zu sein für diese Frau?«, fragte Damasos. Häme lag auf seinem Gesicht. »Vielleicht wird sie zu mir kommen, wenn sie mal einen richtigen Mann spüren will.«
Lysandra knallte ihm die Tür vor der Nase zu. Dummerweise war sie dadurch mit Arishat allein, die sie mit unverhohlener Neugierde anstarrte.
»Endlich sind wir allein«, sagte die Phönizierin, die Arme in die Hüften gestemmt. »Warum, bei Aschera, bist du damals in mein Schlafgemach gekommen?«
»Ich dachte, ich hätte etwas gehört.«
Arishat schüttelte ungläubig den Kopf. »Etwas gehört? Das war ein Komplott! Du steckst mit Cel unter einer Decke, gibs zu. Er hätte an deiner Stelle bei mir sein sollen.«
Lysandra verzog den Mund. »Du gibst also zu, dass du Cel in die Ehe locken wolltest. Doch warum? Ist ein Gatte, der freiwillig zu dir kommt, nicht gefälliger?«
Arishat sah sie irritiert an. »Ich weiß nicht, was du willst, aber irgendetwas ist hier nicht richtig.«
Lysandra hob eine Augenbraue. »Ach, tatsächlich?«
Arishat maß sie mit einem hochmütigen Blick von oben bis unten. »Du bist nicht besonders kräftig. Ich bevorzuge jedoch große, stattliche Männer. Wirst du denn die Ehe vollziehen? Bist du dazu überhaupt in der Lage?«
»Wenn es sein muss.«
Arishats Augen glommen vor Genugtuung. »Ich weiß, dass etwas mit dir nicht stimmt.«
Lysandras Herz setzte einen Moment lang aus, um danach schneller zu schlagen. Schweiß brach ihr aus. Arishat wusste es! Sie wusste, dass Lysandra eine Frau war. Die Maskerade war aufgedeckt. Ihre Familie würde sie für diese Bloßstellung und Schande meucheln. Sie war verloren!
»Ich weiß auch, was mit dir nicht stimmt.« Arishat lächelte siegessicher. »Du bist wie Hiram, nicht wahr?«
Lysandra starrte sie an. »Wie Hiram? Wie meinst du das? Dass ich erst in ein paar Jahren muskulös und stattlich sein werde?«
»Nein, er mag keine Frauen in seinem Bett, sondern Männer. Bist du Hirams Geliebter?« Sie spuckte die Worte in Lysandras Gesicht. »Will er mit diesem schlechten Witz von einer Ehe seine Gelüste und sein Treiben tarnen, um dich jederzeit hier am Hafen auf ihn wartend zu haben oder nimmt er dich gleich
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