Der Kuss des Greifen
sagte Arishat.
»Cel?«, fragte Hiram.
Arishat wandte sich an Belzzasar. »Das kannst du mir doch nicht antun.«
Dieser zuckte mit den Schultern. »Wenn du nicht mehr weißt, mit wem du ins Bett steigst, schon.«
Arishat schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte. »Jetzt muss ich dieses halbe Kind heiraten.«
»Aus jedem Knaben wurde ein Mann – sofern er nicht zuvor verstorben ist«, sagte Hiram.
Arishat bedachte Lysandra mit einem seltsamen Blick. Sie trachtete doch nicht etwa danach, erneut Witwe zu werden? Lysandra dachte an Cel. Sie war in die Ehefalle getappt, die ihm gestellt worden war.
»Ich habe keine Ahnung, wie er in mein Gemach gekommen ist, aber ich werde gewiss kein halbes Kind heiraten«, sagte Arishat.
Hiram räusperte sich. »Wie alt bist du, Lysandros?«
»Achtzehn«, log sie, da sie als Mann niemals als zweiundzwanzig durchgekommen wäre.
»Siehst du«, sagte Hiram. »Außerdem war ich in dem Alter ebenso dünn wie er und du siehst ja, was jetzt, vier Jahre später, aus mir geworden ist.« Tatsächlich war Hiram sehr muskulös und überaus männlich, auch wenn sein Gesicht noch so jung aussah.
»Ich werde ihn nicht heiraten, gleichgültig, wie alt er ist!« Arishat rang verzweifelt die Hände.
»Dafür ist es jetzt zu spät«, sagte Hiram. »Das hättest du dir früher überlegen sollen, bevor du mit ihm ins Bett gesprungen bist.«
»Ich sagte doch, ich bin nicht mit ihm ins Bett gegangen. Dies ist ein übler Komplott! Cel will seinen jüngeren Freund verehelichen. Das hätte ich niemals von ihm gedacht.« Arishat sah Lysandra empört an.
»Ihr werdet in Alis Ubbo heiraten. Leider führt kein Weg daran vorbei«, sagte Belzzasar.
»Ich muss aber zu den Zinninseln«, sagte Lysandra.
Belzzasar hob gleichgültig die Achseln. »Das kannst du danach auch noch. Nimm Arishat dorthin mit oder lasse sie in Alis Ubbo zurück, ganz wie du willst. Das machen viele so.«
Lysandra blickte von einem zum anderen. Waren denn alle um sie herum verrückt geworden? Sie konnte doch keine Frau heiraten. Andererseits konnte sie ihre Identität auch nicht offenbar – jetzt zumindest noch nicht. Vielleicht irgendwann oder auch nie. Sie wusste es nicht. Es war sehr gefährlich, als Frau ohne nennenswerten Schutz zu reisen. Außerdem musste sie nach Delphoí zurückkehren. Es würde sich herumsprechen, da die Phönizier häufiger dorthin kamen. Andererseits würde Arishat sehr schnell herausfinden, was mit ihr los war. Vielleicht kam Lysandra um die Hochzeitsnacht herum – Arishat schien ohnehin von einer Ehe mit ihr nicht gerade begeistert zu sein – und konnte unbehelligt zu den Zinninseln abreisen. Das Problem wäre damit zwar nur aufgeschoben, doch sie hätte wieder Luft und Zeit zum Nachdenken. Sie würde schon eine Lösung finden.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Lysandra, nachdem sie sich mit Cel zurückgezogen und ihm von der Angelegenheit erzählt hatte. Er hatte wieder die Gestalt des Greifen angenommen.
»Mach gute Miene zum bösen Spiel. Wenn wir in Alis Ubbo sind, ist es nicht mehr so weit bis zu den Zinninseln«, sagte er.
»Ich muss sie heiraten!«
»Die Ehe wäre ohnehin ungültig.«
»Doch was ist, wenn sie herausfinden, dass ich eine Frau bin? Dann werden ihre Verwandten mir erst recht nach dem Leben trachten.«
»Ich bezweifle, dass Arishat sich diese Blöße geben will. Sie wird das schön geheim halten. Ihre Verwandten werden dir nur dann nach dem Leben trachten, wenn du dich dieser Heirat verweigerst. Wie willst du andererseits erklären, was du in ihrem Gemach zu suchen hattest?«
Lysandra schluckte. Glücklicherweise hatte man sie nicht durchsucht. Was wäre, wenn Belzzasar und Hiram nur ein wenig früher gekommen und sie mit gezücktem Dolch über Arishat vorgefunden hätten? Sie hatte noch Glück im Unglück gehabt. Jetzt musste sie zusehen, wie sie ihren Kopf aus der Schlinge zog.
»Du meinst also, die Ehe wäre ungültig. Ich müsste nur um die Hochzeitsnacht herumkommen und dann wieder in See stechen?«
»Gewiss. Halte sie dir vom Leib. Sie will diese Ehe ebenso wenig wie du und wird daher auf den Vollzug möglicherweise nicht beharren.«
»Ich hoffe, du hast recht. Was hast du mit Arishat getrieben?«, fragte sie.
»Gar nichts.«
»Erst küsst du mich und dann gehst du in ihre Kajüte.« Der Schmerz, der Lysandras Herz ergriffen hatte, drohte es zu zerquetschen. Sie kämpfte gegen die Tränen an, die in ihren Augen brannten. Keineswegs wollte sie sich
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