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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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dunkle Schlieren vermengten sich vor ihren Augen. Oder wirbelten sie
durch die Luft?
    »Komm!«, rief Raphael.
    Sie erhaschte einen Blick auf ihn, wie er sich auf den Eingang
zubewegte, als wate er gegen die Strömung eines reißenden Flusses. Er war
höchstens drei Schritte von ihr entfernt und doch unerreichbar. Die
unsichtbaren Mächte rüttelten an ihr wie ein Orkan, obwohl kein Wind in ihren
Ohren brauste oder ihre Augen tränen ließ. Stattdessen herrschte Grabesstille.
Schritt für Schritt schob sie sich durch den Eingang, suchte Halt an der Wand,
bis ihre Finger rauen, sandigen Fels berührten. Nein, kein Fels, nur
bröckelnder Putz und Gestein. Ein riesiges Loch klaffte, wo der geflügelte
Stiermensch gestanden hatte. Sie zog die Hand zurück, wankte von allen Seiten
gebeutelt in den dämmerigen Raum. Ein Stoß in den Rücken riss sie von den
Füßen. Schmerzhaft landete sie mit Knien und Händen auf den groben Fliesen,
spürte das Brennen aufgeschürfter Haut, während sie sich instinktiv nach dem
Angreifer umsah. Im ersten Augenblick war da nichts – nur leere Luft, das zerstörte
Relief, darüber weiße Wand, schließlich die gelbgraue Fassade, die den Hof
umgab. Und dann ein seltsames Ziehen in ihren Augen. Schützend riss sie die
Hände davor, doch es war in ihr, es knirschte in ihren Augäpfeln. Hilfe! Aufhören!
    So plötzlich, wie es begonnen hatte, hörte es auf. War sie jetzt
blind? Panisch öffnete sie die Lider, ließ die Hände sinken. Das Weiß der Wand
leuchtete in der Dunkelheit, doch ihr Blick erhaschte kaum noch etwas davon.
Über ihr tobte das Chaos, und je länger sie hinaufsah, desto deutlicher sah sie sie .

    Der Aufprall jagte einen so jähen, heftigen Schmerz durch
Jeans Hand, dass er den Knochen mit einem Aufschrei fahren ließ, bevor er sein
Ziel traf. Klappernd landete seine Waffe gemeinsam mit dem unerwarteten
Geschoss am Boden, von wo ihn der Totenkopf höhnisch angrinste.
    Die Beschwörer wirbelten in wehenden, schwarzen Roben zu ihm herum.
Gegen schmerzhaften Widerstand ballte er die Hand und setzte zum Schlag in das
blondstoppelige Gesicht an, das unter Henris Kapuze sichtbar geworden war. Doch
der Schreck und die widerstrebenden Sehnen hatten ihn zu viel Zeit gekostet.
Henris rechte Faust schoss auf ihn zu. Jean riss den Arm hoch, wehrte den
Schlag damit ab, verlagerte im selben Augenblick bereits das Gewicht, um dem
Hünen gegen die Brust zu treten. Knurrend wich Henri einen Schritt zurück, Jean
setzte nach, schnellte die Fäuste gen Henris hinter erhobenen Unterarmen
verschanztes Gesicht, links, rechts, doch den dritten Schlag zielte er nach
unten, auf die Leber, wo es wehtat. Seine Fingerknöchel prallten in festes
Fleisch. Der Hüne grunzte, sein Arm zuckte zu spät nach unten, während sich
sein Körper bereits vor Schmerz krümmte. Aus dem Augenwinkel sah Jean die
anderen kommen, drehte sich, um Arnaud mit einem linken Haken zu empfangen,
doch der Kerl warf sich einfach auf ihn, riss ihn mit sich zu Boden. Sofort
waren auch Maurice und Henri über ihm, pressten ihn mit ihrem Gewicht auf das
kalte, klamme Gestein.
    »Halt ihn fest, Henri!«, ließ sich Kafziel vernehmen. »Er soll zusehen.«
    Jean wand sich, lehnte sich mit ganzer Kraft gegen die Hände und
Knie auf, die ihn niederdrückten. Eine Pranke packte sein Handgelenk. Nein! Er zappelte noch mehr, doch sein Arm wurde
unerbittlich nach oben gezogen, bis jede Bewegung ein Höllenfeuer durch seine
Schulter lodern ließ. Kantig drückte sich die Schuhsohle durch Jacke und Hemd,
als Henri ihm einen Fuß in den Rücken stellte. Sein Blick suchte Lilyths, die
entsetzt auf ihn hinabsah. »Tu es nicht!«, keuchte er.
    »Schnauze!«, blaffte Henri und trat fester zu.
    Lilyth schloss die Augen. »Der Tod wird meine Erlösung sein.« Ein
harter Zug zeigte sich um ihren Mund. »Ich werde die Macht haben, mich an allen
zu rächen.«
    »Aber brauchen wir für das Ritual nicht fünf …«, begann Sylvaine.
    Kafziel, dessen Abbild sich nicht von der Stelle gerührt hatte –
vielleicht, um die anderen nicht merken zu lassen, dass er nicht mehr materiell
zugegen war –, schnitt ihr barsch das Wort ab. »Sinnlose Formalia! Tu, was
getan werden muss, damit wir unter die Fürsten der Hölle aufsteigen!«
    Mit verunsicherten Blicken schlichen Arnaud und Maurice dennoch an
ihre Plätze zurück. Wenn ihm nicht so elend zumute gewesen wäre, hätte Jean
gelacht. Ohne Regeln, an die sie sich klammern konnten, wirkten die

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