Der Kuss des Jägers
Zacken des Sterns ein.
Kafziel, Sylvaine – erkennbar an ihrer schmalen Silhouette und dem
hervorlugenden schwarzen Haar – und Maurice. Es konnte nur Maurice sein, denn
vor Sylvaine stand Lilyth, als Einzige mit unbedecktem Kopf, schweigend, die
Augen geschlossen. Sie schwankte ganz sacht mit jedem Atemzug. Wieder fragte er
sich, ob sie ihr Drogen gaben. Das Messer, das Sylvaine auf den Handflächen vor
sich hielt wie eine Gabe, schimmerte silbern.
Ein Schaudern rieselte Jeans Rücken hinab. Sie
sucht den Tod. Wie sehr musste sie gelitten haben, um ihr kaum
begonnenes Leben beenden zu wollen? Er musste sie schnellstens in Faucheuxs
Klinik bringen, damit ihr endlich geholfen wurde.
Ein Flimmern lenkte seine Aufmerksamkeit auf Kafziel. Es dauerte nur
einen Lidschlag, fiel den anderen, die ihre Blicke zu Boden gerichtet hatten,
vermutlich nicht einmal auf, doch Jean spürte die Beklemmung aus seinem Herz
weichen. Der Dämon war fort und hatte eine Illusion zurückgelassen. Eilte er
zum Louvre, um im richtigen Moment nach dem Schlüssel greifen zu können?
Egal. Jean sah sich nach einer Waffe um.
Dies war seine Chance, und er würde vielleicht keine
zweite bekommen. Behutsam zog er einen langen, dicken Knochen vom Stapel neben
sich. Wenn es ihm gelang, diesen Henri niederzuschlagen, würde er mit den
beiden anderen Kerlen schon irgendwie fertigwerden. Maurice war eine Lachnummer
und Arnaud offenbar gewöhnt, andere für sich arbeiten zu lassen.
Die Hand fest um den Knochen geschlossen, der sich rau und doch vom
Moder schmierig anfühlte, schlich er zum Durchgang. Das Raunen der
satanistischen Verse übertönte das leise Knirschen unter seinen Sohlen. Er hob
den grausigen Knüppel, spannte sich. Niemand sah in seine Richtung. Los! Er sprang aus der Deckung, stürmte auf den Hünen zu,
reckte die Waffe noch höher, als etwas Helles von der Seite auf ihn zuschoss.
Die Stadt der Lichter erhellte mit ihrer Pracht den
Nachthimmel. Anders konnte sich Sophie nicht erklären, weshalb in diesem Hof
noch immer Dämmerlicht herrschte, obwohl alle Lampen, selbst die Beleuchtung
der Notausgänge, erloschen waren. Das Glasdach hoch über ihr, die
Fensterscheiben der oberen Geschosse, die gläsernen Türen hier unten … Sie
fühlte sich von düster schimmernden Flächen umschlossen wie in einem riesigen
Spiegelkabinett. Sobald sie sich bewegte, huschte es dunkel über das Glas,
regten sich die Spiegelbilder, als erwachten die Skulpturen zum Leben.
Erschrocken sah sie sich um. Leere Gesichter auf reglosen Körpern
starrten auf sie herab. Raphael, seine Miene ebenmäßig und erhaben wie jene der
Statuen, wandte sich zu ihr um. »Komm.« Es klang eher
wie eine Einladung denn ein Befehl. Seine ausgestreckte Hand lockte und
forderte zugleich. Doch er reichte sie ihr nicht, als sie näher kam, sondern
bedeutete ihr mit einer Geste, ihm zu folgen.
Irgendeine der von hohen Rundbögen überwölbten Glastüren musste zum
Cour Khorsabad führen, doch sie war zu aufgeregt, um sich an die richtige zu
erinnern. Ihre Schritte auf dem polierten Steinboden, deren lautes Hallen sie
zuvor noch beunruhigt hatte, klangen nun seltsam gedämpft. Die Luft schien
dicker zu werden, als sei sie zu zäh zum Atmen. Eben war es Sophie noch kühl
erschienen, nun kam es ihr warm, fast stickig vor. Sie merkte, wie sich die
Härchen auf ihrem Arm aufrichteten.
Eine der Türen öffnete sich vor Raphael. Gut möglich, dass sie
verschlossen gewesen war, aber für den Engel tat sie sich auf, und Sophie fand
sich in einem Flur wieder, einen weiteren Eingang direkt gegenüber. Sie
blinzelte. Alles kam ihr bekannt vor, doch irgendetwas stimmte nicht. Die Brust
wurde ihr eng, als hätte sie sich in ein Korsett gezwängt. Ihr war, als sei die
Luft so dicht, dass sie darin watete wie in Wasser. Die Masse wogte, bewegte
ihr Haar, obwohl kein Wind wehte. Selbst Raphael beugte sich vor, als stemme er
sich gegen eine heftige Böe. Seine Locken tanzten. Seltsam grünliches Licht
geisterte über die Wände. Eine Spannung lag in der Luft, als müsse sie sich
jeden Augenblick in einem Blitz entladen.
Was ist das? Ihr fiel ein, was mit dem
Eingang nicht stimmte. Dahinter lag der Cour Khorsabad – doch die geflügelten
Stiere waren fort!
Plötzlich zerrte etwas an ihr, packte sie wie lautloser Sturmwind
und schüttelte sie durch. Haarsträhnen wehten ihr vors Gesicht, raubten ihr
schier den letzten Atem. Mit einem Aufschrei kämpfte sie um ihr Gleichgewicht.
Helle und
Weitere Kostenlose Bücher