Der Kuss des Killers
das Ganze nicht besonders ernst nahm. Er war eine unbedeutende Figur. Ich brauchte keine seherischen Fähigkeiten, um das zu erkennen. Er wollte mich aufregen, seine Überlegenheit beweisen. Seine Art, das zu tun, bestand darin, mir bildlich zu beschreiben, was er sexuell mit Alice getan hatte.« Sie atmete tief durch. »Außerdem hat er mir erzählt, ich wäre ihm versprochen. Wenn meine Macht gebrochen, wenn ich von ihnen übernommen worden wäre, wäre er der Erste, der Hand an mich legen würde. Dann hat er mir erzählt, was er mit mir machen und was für einen Spaß ihm sein Tun bereiten würde. Er lud mich ein, einige seiner zahlreichen Talente gleich an Ort und Stelle zu testen, um zu sehen, wie viel männlicher er wäre als der gute Chas. Ich habe darüber nur gelacht.«
»Hat er Sie deshalb angegriffen?«
»Er hat mich gestoßen. Er war wütend. Ich habe ihn absichtlich dazu gebracht. Und dann habe ich seinen Angriff für mich genutzt. Ein alter Zauberspruch«, erklärte sie und winkte mit der Hand. »Ein so genannter Spiegel- oder Bumerangspruch, demzufolge alles, was er mir brachte – Dunkelheit, Gewalt und Hass – verstärkt auf ihn zurückfiel.« Sie lächelte leicht. »Daraufhin hat er sich vollkommen verängstigt aus dem Staub gemacht. Er kam nie mehr hierher zurück.«
»Hatten Sie selbst ebenfalls Angst?«
»Ja, auf einer körperlichen Ebene hatte ich tatsächlich Angst. «
»Also haben Sie Forte angerufen.«
»Er ist mein Partner.« Isis hob den Kopf. »Ich brauche ihn und ich habe keine Geheimnisse vor ihm.«
»Er muss doch ziemlich wütend gewesen sein.«
»Nein.« Isis schüttelte den Kopf. »Besorgt, ja. Wir haben einen Kreis geschlagen und ein Schutz- und Reinigungsritual vollzogen. Das hat uns gereicht. Ich hätte es sehen sollen«, fuhr sie mit Trauer in der Stimme fort. »Ich hätte sehen sollen, dass sie es auf Alice abgesehen hatten. Mein Stolz ließ mich glauben, es ginge ihnen tatsächlich um mich und sie würden es nicht wagen, einen Menschen anzurühren, der unter meinem Schutz stand. Eventuell war ich Ihnen gegenüber nicht ganz ehrlich, Dallas, denn wenn ich nicht von meinem Stolz geblendet gewesen wäre, wäre Alice vielleicht noch am Leben.«
Isis hatte Schuldgefühle, dachte Eve, als sie losfuhr, um Peabody zu holen. Und Schuldgefühle führten unter Umständen zu Rache. Frank und Alice waren auf andere Weise als Lobar und Wineburg umgebracht worden. Die Todesfälle hingen miteinander zusammen, da war sie sich ganz sicher. Doch diese Verbindung musste nicht bedeuten, dass alle diese Taten von ein und derselben Person verübt worden waren.
Sie wollte zurück auf die Wache, um die Wahrscheinlichkeit der mehrfachen Täterschaft zu überprüfen. Dafür gab es inzwischen mehr als genügend Daten. Und wenn die errechnete Wahrscheinlichkeit genügte, würde sie zu Whitney gehen und genügend Leute für eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung beider Gruppen von Verdächtigen erbitten.
Zum Teufel mit dem Budget, dachte sie, während sie im Schneckentempo durch die wieder einmal verstopften Straßen kroch. Sie brauchte eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, um genügend Leute zu bekommen. Doch Peabody und Feeney alleine reichten für eine pausenlose Überwachung sämtlicher Beteiligter natürlich nicht aus.
Auch Jamie dürften sie nicht aus den Augen lassen, dachte sie erbost. Der Junge suchte geradezu nach Ärger und sie war der festen Überzeugung, dass er clever genug war, dass er ihn auch fand.
Peabody sprang in den Wägen, als Eve an der Ecke Siebter-Siebenundvierzigster zum Stehen kam. Durch die offene Tür einer Virtual-Reality-Spielhalle drang computerisierter Kriegslärm. Die Lautstärke überstieg bei weitem das per Gesetz zum Lärmschutz verordnete Maß, doch sicher nahmen die Eigentümer, um Touristen und gelangweilte New Yorker anzulocken, bereitwillig ab und zu die Zahlung eines Bußgeldes in Kauf.
»Ist er da drinnen?«
»Ja.« Peabody blickte hoffnungsvoll in den von einem Schwebegrill aufsteigenden Dampf. Sie roch frische Sojaburger und ölige Pommes frites. Es war kurz vor Mittag, sodass ihr Magen knurrte und sich gleichzeitig bei dem Gedanken an den Fraß in der Kantine auf der Wache schmerzlich zusammenzog. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mir noch schnell etwas zu essen holen gehe?«
Eve blickte ungeduldig aus dem Fenster. »Heißt es nicht, dass man bei einer Erkältung keinen Hunger hat, weil man nicht das Geringste schmeckt?«
»Ich habe immer Appetit. Und
Weitere Kostenlose Bücher