Der Kuss des Killers
ging über die Rampe hinunter Richtung Straße. Die kühle abendliche Brise hatte die Gerüche und den Smog vertrieben. Über ihrem Kopf erhellte einzig das Zickzack der Flugzeuglichter den pechschwarzen Himmel, und als einziges Geräusch drang das gedämpfte Brummen der Motoren an ihr Ohr.
Sie befanden sich in einem der Schicki-Micki-Künstlerviertel von New York, in dem selbst der Schwebegrill an der Ecke, an dem es sicher statt halb verbrannter Sojaburger frisches Hybrid-Obst zu erstehen gab, blitzblank gewienert war. Die meisten der Straßenhändler hatten inzwischen geschlossen, doch am frühen Morgen würden ihre Stände mit handgefertigten Schmuckstücken, Knüpfteppichen und Wandbehängen, Kräuterbad-Essenzen und gesundheitsfördernden Tees wieder aufgemacht.
Die Verkäufer wären freundlich, hätten ihre Genehmigungen für jeden sichtbar irgendwo aufgehängt und gäben ihren Verdienst eher für eine gute Mahlzeit als für irgendwelche synthetischen Drogen aus.
Die Kriminalitätsrate war niedrig, die Mieten jedoch mörderisch, und das durchschnittliche Alter von Händlern und Bewohnern lag deutlich unter dem landesweiten Durchschnitt.
Hier leben zu müssen, hätte Eve gehasst.
»Wir sind zu früh«, murmelte sie, sah sich gewohnheitsmäßig um und grinste plötzlich. »Das Psycho-Bistro. Ich schätze, man geht rein, bestellt den Gemüseauflauf und sie behaupten, sie hätten es von vornherein gewusst. Nudelsalat und Handlesen. Sie haben noch offen.« Spontan wandte sie sich an ihren Mann. Sie brauchte einfach etwas, um ihre schlechte Laune zu beheben. »Und, wollen wir uns den Laden mal ein bisschen näher ansehen?«
»Willst du dir etwa die Zukunft aus der Hand ablesen lassen?«
»Warum denn nicht?« Sie packte seine Hand. »Eventuell stimmt mich das auf meine Ermittlungen gegen satanische Drogendealer ein. Vielleicht lassen sie sich ja darauf ein und geben uns, weil wir zu zweit sind, irgendeinen Rabatt.«
»Nein.«
»Man kann nie wissen, solange man nicht fragt.«
»Ich lasse mir nicht aus der Hand lesen.«
»Du bist feige«, grummelte sie und zog ihn durch die Tür.
»Ich ziehe das Wort vorsichtig vor.«
Sie musste zugeben, es roch einfach fantastisch. Statt wie gewöhnlich nach Zwiebeln und viel zu fetten Saucen duftete es nach Blumen und Gewürzen, und passend dazu erklang im Hintergrund leise, ätherische Musik.
Kleine weiße Tische und Stühle befanden sich unweit des Tresens, hinter dessen blitzblanken Scheiben man Schüsseln und Teller mit farbenfrohen Gerichten stehen sah. Zwei Gäste saßen über Schalen mit heißer, klarer Brühe. Beide trugen fließende weiße Roben, juwelenbesetzte Sandalen und hatten kahl rasierte Köpfe.
Hinter dem Tresen stand ein Mann mit silbernen Ringen an sämtlichen Fingern, einem dunkelblauen Hemd mit weiten Ärmeln und sorgsam mit einer Silberkordel zusammengebundenem, geflochtenem blondem Haar. Er sah die beiden Neuankömmlinge mit einem warmen Lächeln an.
»Seid gesegnet. Wünscht ihr Nahrung für Körper oder Seele?«
»Ich dachte, das wüssten Sie bereits«, antwortete Eve mit einem breiten Grinsen. »Wie wäre es mit ein bisschen Wahrsagerei?«
»Handlesen, Tarot, Runen oder Aura?«
»Handlesen.« Eve streckte gut gelaunt die Hand aus.
»Cassandra ist unsere Handleserin. Wenn du es dir bequem machst, steht sie dir gern zu Diensten«, meinte er und fügte, als sie sich nach einem Stuhl umsah, mit ruhiger Stimme hinzu: »Schwester, ihr beide habt eine sehr starke, vibrierende Aura. Ihr passt hervorragend zusammen.« Dann griff er nach einem Holzstab mit abgerundetem Ende, fuhr damit sanft über den Rand einer Schale aus mattem, weißem Glas und als ein leiser Ton erklang, trat eine Frau durch den Perlenvorhang aus einem Hinterzimmer in den Raum.
Sie trug eine silberne Tunika und ein oberhalb des Ellenbogens geflochtenes silbernes Band. Eve merkte, dass sie sehr jung war, vielleicht gerade zwanzig, und dass sie, wie der Mann, ihre blonden Haare zu einem Zopf geflochten trug.
»Willkommen«, sagte sie in dem melodiösen Singsang der gebürtigen Irin. »Bitte machen Sie es sich bequem. Möchten Sie beide aus der Hand gelesen haben?«
»Nein, nur ich.« Eve suchte sich einen Platz an einem Ecktisch. »Was macht das?«
»Das Lesen kostet nichts. Wir erbitten lediglich eine kleine Spende.« Mit einem Lächeln wandte sie sich an Roarke. »Wir werden Ihre Großzügigkeit zu schätzen wissen. Madam, reichen Sie mir bitte die Hand, mit der Sie auf
Weitere Kostenlose Bücher