Der Kuss Des Kjer
bereits die Dunkelheit und Kälte der Nacht hausten.
Erst als sie die Arme fester um seinen Hals schlang und sich enger an seine Brust drängte, wurde ihr bewusst, dass Mordan sie schon eine geraume Zeit auf den Armen trug - sie hatte nicht bemerkt, dass er sie hochgehoben hatte. Von dem unerklärlichen Wissen beruhigt, dass ihr nichts geschehen konnte, solange er da war, lehnte sie den Kopf an seine Schulter und konzentrierte sich ganz auf den ruhigen Schlag seines Herzens, stetig und kraftvoll, lebendig und warm zwischen der Kälte um sie herum. Sie schmiegte sich tiefer in seine Wärme, machte sie zu ihrer - und sah nicht, wie ihm der Schweiß ausbrach und ihm schließlich über Stirn und Hals rann, dass die Kälte, die ihr Inneres lähmte,- Reif auf seine Brauen und das Fell an seinen Schläfen zauberte und ihm seine Kraft stahl. Als seine Atemzüge seltsam schwer wurden und das Fauchen und wütende Knurren um sie her sich zu einem triumphierenden Kichern wandelte, begriff sie, dass etwas nicht stimmte. Im nächsten Augenblick strauchelte er und stürzte mit ihr auf ein Knie. Das Pochen in seiner Brust hatte seine Stetigkeit verloren, war zu einem Stolpern geworden. Die Gestalten wagten sich näher heran. Eine fahle Hand strich Lijanas übers Haar. Schmerz, als hätte Eis sie verbrannt, lähmte sie. Ein gellender Schrei brach aus ihrer Kehle. Grauen nahm ihren Geist gefangen, raubte ihren Willen und löschte ihr Denken aus. Zitternd und schluchzend sank sie gegen ihren Krieger, brachte ihn um sein mühsam auf rechterhaltenes Gleichgewicht, sodass er sich mit einer Hand an einem Felsen abstützen musste und halb über sie fiel. Seine Wärme floh sie. Der Kreis aus Gestalten schloss sich enger. Sie hörte das Tuscheln und Lachen ihrer Stimmen.
Klauen aus Frost versenkten sich in ihren Sinnen, zerrten an ihr. Sie sah Schwerter und Äxte in ihren Händen - und wusste, dass ihre Berührung den Tod brachte. Mit einem Scheppern landete sein Kereshtai auf dem Boden, glitt halb aus seiner Scheide.
Silbrig glitzernder Nebel kroch über den Boden, stieg aus den Felsen auf, überzog alles mit perlmuttschimmerndem Reif und verwandelte die Gestalten in bleichen Glanz. Plötzlich waren da andere Stimmen, dunkel, warm, kraftvoll. Sie hörte Mordan überrascht keuchen, spürte, wie er müde den Kopf hob, dann wurde sie an die Felswand gedrängt und das Kereshtai glitt mit einem Singen endgültig aus seiner Hülle. Raunen erfüllte die Kälte. Die Gestalten zögerten. Ihr Krieger machte einen Schritt vorwärts, fuhr mit der Klinge über seine Handfläche, rote Hitze lohte auf silbernem Eis, rann daran herab bis zum blitzenden Ende, als es sich zur Erde hin senkte. Langsam zog er mit der Spitze seiner Klinge einen Halbkreis von Felsen zu Felsen um sie herum, sagte etwas in seiner Sprache, hob das Schwert und wartete.
Zwischen den Felsgipfeln glomm ein letztes Mal die untergehende Sonne. Ihr Licht verirrte sich in die Schlucht, lief als Kegel aus Gleißen über die Schneide des Kereshtai. Etwas um Lijanas herum veränderte sich, Wärme drängte sich durch die Kälte. Die Stimmen der Gestalten in ihrem Geist wurden zu einem Wimmern, verblassten zu einem Flüstern, im gleichen Maß, wie sie zurückwichen, wieder durchscheinend wurden. Es war still. Selbst der Wind schwieg. Doch die Felsen schienen zu wispern.
Dann wurde sie wieder von den Steinen hochgezogen und behutsam vorwärtsgeschoben. Ihre Schritte waren steif, unbeholfen und es war Mordans Hand, die sie auf den Beinen hielt. Die blank, gezogene Klinge seines Schwertes glänzte wie geronnenes Licht.
Erst als sie aus der Schlucht heraus waren und die Bergflanke wieder nur noch auf einer Seite steil in den Himmel ragten, wagte sie es, sich umzudrehen. Hinter ihnen hatten sich die Gestalten erneut zu den hellen Umrissen von zuvor verwandelt.
Schweigend und reglos standen sie in der Finsternis der Schlucht und starrten ihnen nach.
Die Sonne war nur noch eine blutrote Linie am Horizont, als Mordan endlich einen von einer Bergnase geschützten Spalt in den Felsen fand, der ihnen ausreichend Platz und Schutz für die Nacht bot. Lijanas hatte keine der Gestalten mehr gesehen, seit sie die Schlucht hinter sich gelassen hatten. Ihr Krieger hatte es mit einem Nicken zur Kenntnis genommen, doch das Kereshtai lag immer noch blank neben ihm. Ihr Atem bildete weiße Wolken, während sie eng aneinandergekauert ein karges Mahl aus Haferkeksen, getrocknetem Fleisch und Wasser verzehrten.
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