Der Kuss Des Kjer
bleiben.
Ein leises Flüstern schien in der Luft zu liegen, das mit jedem Schritt, den sie sich der Mitte der Brücke - und damit der Wand aus Nebel - näherten, lauter wurde. Dann hatten sie den fahlen Dunst erreicht und traten in ihn hinein. Sofort sahen sie nicht einmal mehr die Hand vor Augen. Klamme Feuchtigkeit legte sich auf ihre Haut.
Waren die Steine des Bogens bisher trocken und fest gewesen, fühlten sie sich nun schmierig und weich an. Er ließ seine Finger ganz leicht über die Seitenmauer gleiten, um nicht versehentlich zu nah an die Bruchseite heranzukommen, fühlte Flechten und Moos. Hinter sich hörte er die gepressten Atemzüge der jungen Heilerin. Er streckte die Hand nach ihr aus, sie griff mit einem leisen Seufzen zu und hielt sich an ihm fest.
Schritt um Schritt tasteten sie sich weiter und dann, allmählich, lichtete sich der Nebel und sie konnten nach und nach die Umrisse der Berge erkennen, die sich hinter ihm in die Höhe reckten. Dann waren sie hindurch, hatten wieder massiven Fels unter den Füßen und standen in mildem Sonnenlicht. Verwundert schaute er sich um.
»Fluchbeladene Berge habe ich mir anders vorgestellt«, meinte er nach einem weiteren Moment und blickte Lijanas an. Die nickte und ließ ebenfalls die Augen über die Felswände wandern. Der Stein war grau und zuweilen mit helleren Adern durchzogen. In Spalten und Rissen schimmerten die dunkelblauen Blüten der Sternblume und der helle Silbermohn. Vereinzelt reckten sich auch die dürren Stängel des Bergknöterichs zwischen den Felsen hervor oder ein Fam schob seine Blätter über einen kleinen Vorsprung. Abgesehen von dem leisen Gesang des Windes war es still.
Zwischen dem Gestein führte ein Pfad gut erkennbar in die Berge hinauf. Mordan runzelte die Stim. Ladakh hatte ihm nicht gesagt, wo genau er diese Quelle finden sollte. >Hoch oben in den Bergen, in einem Rund aus Felsen ... < Das kann überall sein. - Es blieb ihnen nichts anderes, als den Weg hinaufzusteigen und zu sehen, wohin er führte. Er nickte der Heilerin zu und ging los.
Zu Anfang hatte der Pfad langsam, aber stetig bergauf geführt. Inzwischen war er so steil, dass er Lijanas zuweilen an eine fast senk, rechte Treppe erinnerte. Mordan hatte vor einiger Zeit das eine Ende des Seils um ihre Taille geschlungen, damit sie gesichert war. Das andere Ende lag um seine Mitte. Schweigend kletterte er vor ihr her und zum wiederholten Mal staunte sie darüber, wie ein Mann seiner Größe sich so behände zwischen den Felsen bewegen konnte. Sie legte die Finger um eine wie glatt polierte Felsnase und erklomm den nächsten Tritt.
Je höher sie kamen, umso kälter fegte der Wind zwischen den Felsen hindurch. Nur noch graue Steindisteln ertrugen seine Launen, tief geduckt in Spalten oder in geschützten Kuhlen. Die Bergkuppen über ihnen waren mit dem glitzernden Weiß von Schnee überzogen. Wann immer der Weg es erlaubte und sie sich nicht mit den Händen irgendwo festhalten musste, schlang Lijanas ihren Mantel eng um sich.
Offenbar hatten sie eines der steilsten Stücke hinter sich, denn nun verlief der Weg beinah waagerecht an einer Steilwand entlang. Dahinter ragte die Nebelwand auf eine fahle Grenze, die sie von der Welt trennte, die sie kannte. Sie schauderte. Ein Ruck an dem Seil um ihre Mitte riss sie aus ihren Gedanken. Einige Schritt vor ihr war Mordan stehen geblieben und wandte sich nun um. Sie sah die Sorge in seinem Gesicht und schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. Als der Pfad so gefährlich steil geworden war, hatte er sie gebeten, es ihm ohne Scheu zu sagen, wenn sie müde wurde und eine Rast brauchte. - Nein, er hatte sie nicht gebeten: Er hatte es ihr auf die für ihn so typisch ruppige Art befohlen. Noch einmal warf sie einen Blick in die Tiefe, dann schlang sie ihren Mantel noch enger um sich und schloss zu ihm auf.
Langsam stapften sie weiter, den immer steinigeren Weg entlang. Sie beobachtete, wie Mordan wieder und wieder die zerklüfteten Felsen mit den Augen absuchte, um vielleicht einen Bach oder kleinen Wasserfall zu entdecken, der auf eine mögliche Quelle hingewiesen hätte -doch bisher war da noch nicht einmal ein mageres Rinnsal gewesen. Inzwischen stand die Sonne schon tief und im Schatten der Felswände kroch die Nacht heran und brachte die Kälte mit.
Lijanas bemerkte die Gestalten zum ersten Mal, als sie an einer fast lotrecht aufragenden Spalte vorbeigingen, die in den Berg hineinzuführen schien und in der bereits die
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