Der Kuss Des Kjer
werden?«
»Woher wisst Ihr ... Natürlich! Wer sonst als ein Kessanan oder einer ihrer Zöglinge sollte Zugang zu der Schriftensammlung haben. - Nein! Die Kessanan nehmen normalerweise keine Unfreien bei sich auf. Und noch weniger ein Halbblut wie mich.
Nach ihren Lehren bin ich nur ein Condjai Kadas, ein Blutbastard, und nicht würdig zu leben - zumindest nicht als Freier.«
»Und warum ... «
»Ich weiß es nicht, Lijanas. - Es gibt so viele >Warums< in meinem Leben, auf die ich bisher keine Antwort gefunden habe, dass es mir manchmal Angst macht.« Er lehnte sich mit der Schulter bequemer an die Felsen, schob die Hand unter sein Wams, tastete nach seiner Seite.
Alarmiert richtete Lijanas sich auf. »Eure Wunde! Schmerzt sie wieder?«
Langsam schüttelte er den Kopf und zog sie zugleich wieder an sich. »Nein! Seit wir in dieser Höhle waren, spüre ich sie kaum noch. In ein paar Tagen wird der Schorf sich ablösen und dann ist sie nicht mehr als eine weitere Narbe. Macht Euch keine Sorgen! - Scheinbar sind diese Schatten uns nicht hierher gefolgt. Versucht zu schlafen, Lijanas. Es reicht, wenn einer von uns wach bleibt.« Einen Moment sah sie ihn zweifelnd an, doch dann kauerte sie sich fester an ihn und war wenig später tatsächlich eingeschlafen.
Schwärze! Absolut und undurchdringlich! Kälte, die die Knochen in Eis verwandelt und bei jedem Atemzug die Brust erstarren lässt. Wispern und Lachen um sie her.
Lockend, säuselnd. Berührungen im Haar, sacht, nur ein Hauch. Gelähmt vor Angst steht sie in der Unendlichkeit aus Finsternis. Ohne zu wissen, wo sie ist! Ohne zu wissen, wie sie hierherkommt! Die kleinste Bewegung reißt sie in den unsichtbaren Abgrund unter ihren Füßen. Zittern sitzt in der Kehle, rinnt durch die gefühllosen Glieder. Sie wagt nicht zu schreien, aus Angst, die Finsternis auf sich aufmerksam zu machen. Frost kriecht über sie, zerrt an ihr, zieht das Leben aus ihr, reißt an der Seele. Stimmen flüstern. Versprechen ein Ende der Angst. Nur ein Schritt in den endlosen Sturz. Der Schrei bricht heraus. Sie schlingt die Arme um sich, wimmert. Eis stiehlt ihr Wärme und Kraft. Wispern und Gelächter. Flüstern. Ein Stoß - sie taumelt - ihr Fuß tritt ins Nichts. Kälte raubt den Atem. Tränen gefrieren auf den Wangen, fallen als Perlen in die Unendlichkeit. Zwischen dem Gelächter und Wispern ein Wort.
»Elljén!« Stimmen narren, äffen von allen Seiten - Elljén.
» Hilf mir!« Kälte lähmt.
»Komm, Zu mir! «
» wo bist du?«
»Hier! « Gelächter von überall. »Bitte! Hilf mir! «
»Hab keine Angst! Komm zu mir!
»Ich kann dich nicht finden! « Der Schrei ist reine Not. »Folge meiner Stimme!
Komm zu mir! «
folge meiner stimme. komm zu mir.
folge meiner stimme. komm zu mir.
folge meiner stimme. komm zu mir.
Wispern. Sie streckt die Arme in die Finsternis. »Hilf mir doch! «
»Folge meiner Stimme! «
folge meiner stimme.
folge meiner stimme.
»Ich kann nicht! Sie ist überall! «
» Vertrau mir! Sei ruhig! - Hör nicht hin! Hör zu! - Hör mir zu! «
Wildes Kreischen um sie her. Der Boden unter ihren Füßen schüttelt sich. Ein warmer Hauch streift sie. » Sei ruhig. « Die Stimme schweigt für keinen Atemzug, warm und stark, hüllt sie ein. Heulen und Jammern machen sie taub. Langsam tut sie einen Schritt. Kälte zerrt an ihr, nimmt ihr die Luft. Sie wankt. Hohngelächter füllt die Ohren. »Hör mir zu! « Noch ein Schritt, ein zweiter. Wärme umgibt sie. Die Schwärze endet jäh. Sie lässt sich fallen, schmiegt sich in den vertrauten Geruch nach Stahl, Leder und Pferd.
Mit einem Schrei riss Lijanas die Augen auf Mordans Arme legten sich noch enger um sie. Seine Stimme war direkt an ihrem Ohr. »Sei still, Elljén! Es ist alles gut! Ich bin da! - Bei allen Rachegeistern, du bist kalt wie der Tod! - Lass dich wärmen! « Heiß fuhr sein Atem über ihre Haut. Ihr Inneres fühlte sich noch immer wie erfroren an.
Beinah schmerzhaft rieben seine Hände ihre Arme und Finger, brachte das Leben in sie zurück.
»Was ist geschehen?« Zwischen dem Klappern ihrer Zähne konnte sie ihre Stimme selbst kaum verstehen. Hätte sie es gekonnt, hätte sie sich in ihn verkrochen. Sie drängte sich enger an seine Brust. So warm.
Langsam schüttelte er den Kopf »Ich weiß es nicht. Im einen Augenblick warst du warm und hast geatmet und im nächsten war deine Haut mit Reif überzogen und es war kein Leben mehr in dir - und trotzdem glaubte ich, dich schreien zu
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