Der Kuss Des Kjer
Vormittags verbrachten sie in dem Geschäft eines Schneiders, wo Lijanas ein Gewand nach dem anderen anprobieren musste, das dann wiederum ihrem >Gemahl< vorgeführt wurde, der es sich auf einigen Kissen bequem gemacht hatte. Ein Lehrjunge wurde zu einem Schuster geschickt, damit der kam, um für ein Paar neue Schuhe für die Gattin des Kjer-Kriegers -der vom ersten Augenblick an klargemacht hatte, dass er gute Ware für gutes Geld erwartete - Maß zu nehmen.
Schon halb schwindlig von all dem An- und Auskleiden, bemerkte Lijanas irgendwann, mit welchen Blicken die beiden jungen Mädchen, die ihr dabei halfen, Mordan ansahen, der die Arme über Lehne und Kissen gelegt hatte und die langen Beine von sich streckte. Was mochten sie an ihm finden, dass sie ihn geradezu anschmachteten? Was würden sie sagen, wenn sie erführen, dass dieser herrliche Krieger aus dem Volk der Kjer stammte? Bemerkten sie denn nicht das glänzend schwarze Fell an den Seiten von Gesicht und Hals, im Nacken, auf den Handrücken und den Armen? Fielen ihnen nicht die gebogenen Spitzen der Fingernägel auf oder die fahl schimmernden Spitzen seiner Reißzähne, die beim Sprechen hinter seinen Lippen zuweilen aufglänzten - oder war es ihnen gleichgültig? Als sie sicher war, dass er nicht zu ihr hersah, Musterte sie ihn verstohlen. Unwillkürlich erinnerte sie sich an den Anblick, den sein nackter Oberkörper am vergangenen Abend im Lampenschein geboten hatte: die zu dunklem Gold gebräunte Haut, die sich über lange, elegante Muskeln spannte, die breiten Schultern und der flache Bauch ... Sie schüttelte den Kopf, um das Bild zu verscheuchen. Doch der Anblick, der sich ihr jetzt bot, machte es auch nicht besser. Das glänzend schwarze Haar, das nur von einem schmalen Riemen im Nacken gebändigt wurde und lang den Rücken hinunterfloss, sein sturmdunkles Auge, das ihm zusammen mit der Lederklappe über dem anderen eine Aura von dunklem Geheimnis verlieh ... Ein leiser Schauder rann über ihren Rücken.
Das Schwertgehänge betonte seine schmalen Hüften und die langen, muskulösen Beine, um die sich das Leder der Hose wie eine zweite Haut spannte. Gnädige Göttin, was soll das? Der Kerl hat mich entführt, geschlagen und an einen Baum gefesselt.
Aber mal abgesehen davon, kannst du nicht leugnen, dass er gut aussieht. - Mag sein, aber bei Weitem nicht so gut wie Ahmeer! Als hätte er ihren Blick gespürt, sah er zu ihr her - und Lijanas merkte, wie Hitze in ihren Wangen flammte . Was ist mit dir los, du dummes Stück? Er ist ein Kjer - und du die Braut des Prinzen der Nivard!
Hastig wandte sie die Augen ab und konzentrierte sich auf das Geplapper der beiden Mädchen, die sie hinter den Vorhang zogen und ihr in das nächste Gewand halfen.
Als sie kurz vor Mittag das Geschäft des Schneiders verließen, war Lijanas in ein bis zur Hüfte reichendes, sandfarbenes Hemd mit weiten Ärmeln und ein paar bauschige Hosen in einem dunklen Zimtton gekleidet. Darüber trug sie ein ärmelloses, knöchellanges Gewand, das eine Nuance dunkler als ihr Beinkleid und zu beiden Seiten bis zur Hüfte geschlitzt war. Um ihre Mitte lag ein ebenfalls sandfarbener Gürtel, verziert mit ockerfarbenen Stickereien, und ihre Füße steckten in ein paar weich gefütterten, zierlichen Halbstiefeln. In einem wohlverschnürten Bündel trug sie das geliehene Kleid zusammen mit einem Hemd aus feinem Leinen für die Nacht. Ein blaues Gewand in einem ganz ähnlichen Stil wie jenes, das sie trug, sollte bis zum Abend zu Fadera geliefert werden. Als der Schneider seinen Preis genannt hatte, war sie kurz davor gewesen, alles wieder zurückzugeben, doch Mordan hatte noch nicht einmal ansatzweise versucht, zu handeln, sondern anstandslos bezahlt. Auf ihr verlegenes » Danke! « hatte er nur genickt, als wäre es etwas ganz Alltägliches, dass er schweres Silber ausgab, um eine Gefangene einzukleiden. Und als wären die Gewänder nicht genug gewesen, hatte er sie geheißen, sich bei einem Händler Kamm, Bürste und Spiegel auszusuchen, und dann bei einem Seifenmacher ein Stück herrlich duftende Seife für sie erstanden. Anschließend war ein Kürschner damit beauftragt worden, Felle für einen warmen Umhang zu besorgen und sie zur Begutachtung am nächsten Tag zu Fadera zu bringen.
Danach waren sie noch eine Weile über den Markt geschlendert, hatten sich zum Mittag glasiertes Hähnchenfleisch in Tellern aus halb ausgehöhlten, dunklen Brotkanten gekauft, das sie zusammen mit einem
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