Der Kuss Des Kjer
Lächeln hinter dem Becher.
*** 10 ***
Das Seuchenhaus war ein zweckentfremdeter zweistöckiger Speicherhof Vor der Tür standen bewaffnete Wachen, die ihnen sichtlich überrascht entgegensahen und den Eintritt verwehrten. Auch ihrer Bitte, einen der diensthabenden Heiler zu sprechen, wurde erst nachgegeben, als Lijanas den Männern klarmachte, dass sie selbst Heilerin war und ihre Dienste anbieten wollte.
Der Mann, der wenig später vor die Türen trat und umständlich den Mundschutz vom Gesicht zog, ehe er sie begrüßte, mochte kaum mehr als zwanzig Winter gesehen haben und machte keinen Hehl daraus, dass er eine einfache Kräuterfrau erwartete, die sich den Rang einer Heilerin nur anmaßte. In herablassendem Ton fragte er Lijanas, wer ihr Lehrmeister gewesen sei, wo sie praktiziere und wie lange und ob sie schon einmal eine Seuche miterlebt habe. Bei jeder ihrer Antworten hellte sich sein Gesicht weiter auf und schließlich hieß er sie geradezu überschwänglich willkommen. Der Grund war einfach. Seit gestern war er der einzige Heiler Cavallins, der nicht selbst an der Seuche erkrankt war und der bereit war, hier Dienst zu tun.
Und für jemanden mit Lijanas Kenntnissen war er mehr als dankbar; lag doch damit die ganze Verantwortung nicht mehr allein auf seinen Schultern.
Doch er war sichtlich verwirrt, dass Mordan sich anschickte, ihnen in das Haus zu folgen. Erst nach einer heftigen Debatte und der Versicherung des dunklen Kriegers, dass er sich der Gefahr durchaus bewusst war und sie auf eigene Verantwortung trug, erlaubte der Heiler ihm, den wenigen Pflegern, die im Seuchenhaus arbeiteten - alles Soldaten, die sich freiwillig gemeldet hatten, weil sich unter den Kranken Mitglieder ihrer Familien befanden -, zu helfen. Er händigte jedem ein essiggetränktes Tuch als Mundschutz und eine grobe Leinenschürze aus, dann brachte er sie in den ersten der beiden Krankensäle.
Der Gestank nach Erbrochenem, menschlichen Exkrementen, Fieber und ungewaschenen Körpern hing zusammen mit dem Geruch nach Verwesung in der Luft und war selbst durch den Essig der Tücher wahrzunehmen. Die Kranken lagen auf Strohsäcken oder einfachen Deckenlagern. Der Raum war erfüllt mit Stöhnen und Schluchzen, zuweilen erklangen auch gellende Schreie. Der Heiler - sein Name war Terodh - führte sie durch den Saal und erläuterte Lijanas den Verlauf der Krankheit.
Es begann mit Bauchkrämpfen, denen Erbrechen und Durchfall folgten, beides sehr schnell auch mit Blut durchsetzt. Dann kam das Fieber, das binnen kürzester Zeit mörderisch hoch war und das die Erkrankten noch zusätzlich schwächte und austrocknete, da sie noch nicht einmal mehr Wasser bei sich behalten konnten.
Manche waren zu diesem Zeitpunkt schon so entkräftet, dass sie das Bewusstsein verloren und bis zu ihrem Ende nicht mehr zu sich kamen -was Terodhs Meinung nach eine Gnade für die Betroffenen war. Im letzten Stadium rann den Kranken Blut aus Nase und Mund - zuweilen auch aus anderen Körperöffnungen -, die Haut riss auf und es entstanden schwärende Wunden, die schnell größer wurden, nässten und leicht bluteten, während die Kranken sich vor Schmerz herumwälzten. Einige begannen zu toben, als wären sie vom Wahn befallen, so, dass sie in ihren letzten Stunden gefesselt werden mussten, andere versanken im Halbbewusstsein von Delirium und Fieber und starben still. Vom Ausbruch der Krankheit bis zu ihrem Ende vergingen selten mehr als zwei Tage. Keiner überlebte! Die Leichen wurden in einer Grube verbrannt, die in dem kleinen Hof hinter dem Gebäude ausgehoben worden war, die Asche in Umen gesammelt und in den alten Stollen, die von den Erbauern Cavallins in den Berg getrieben worden waren, in Nischen eingemauert.
Seit die Krankheit vor vier Tagen ausgebrochen war, waren schon viel zu viele gestorben. Wodurch sie ausgelöst und wie sie übertragen wurde, wusste Terodh nicht. Fest stand nur, dass sie ohne Unterschied jeden befallen konnte, egal ob arm oder reich, Mann oder Frau, jung oder alt - nur Säuglinge waren bisher verschont geblieben. Und bis gestern hatten die Stadtvögte es totschweigen wollen.
Lijanas machte sich entschlossen an die Arbeit. Sie weigerte sich zu glauben, dass sie tatsächlich nichts anderes tun konnte, als den Kranken ihre letzten Stunden zu erleichtern. Immer wieder unternahm sie den Versuch, sich mit Terodh zu beraten, frag, te, welche Mittel er schon ohne Erfolg angewandt hatte, machte Vorschläge, was sie noch ausprobieren
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