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Der Kuss des Meeres

Der Kuss des Meeres

Titel: Der Kuss des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Banks
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umzudrehen.
    Ich schaue mich zu Galen um. » Das ist nur Zufall.«
    Galen seufzt. » Du hast recht. Wahrscheinlich hat er uns irrtümlich für einen Verwandten gehalten oder so. Sag ihm, er soll etwas anderes tun, Emma.«
    » Galen, können wir nicht einfach…«
    » Sag es ihm.«
    Goliath ist ein wenig auf Abstand gegangen. Jetzt sieht er nur noch so groß aus wie ein einziger Schulbus, nicht mehr wie drei. Die kleine fächernde Bewegung, mit der sein riesiger Schwanz ihn wegbewegt, erinnert mich an eine Fahne, die träge in einer sanften Brise hin und her weht. » Warte«, rufe ich. » Komm zurück. Du brauchst nicht fortzugehen.«
    Als der Wal innehält, als er umdreht und schwerfällig wieder auf uns zuwalzt, verflüchtigen sich meine Zweifel. Goliath kommt uns so nah, dass uns sein Maul aufsaugen könnte, wenn er es öffnen würde. Er ist hässlich. Seine riesige Birne sieht aus, als hätte er einen Bommel auf dem Kopf. Und er hat vergessen, Zahnseide zu benutzen; aus seinem Mundwinkel zappelt ein Tintenfischtentakel, der so groß ist wie mein Arm. Hoffentlich lebt das Ding nicht mehr.
    Aber ich habe keine Angst mehr. Galen hat recht. Wenn Goliath uns fressen wollte, hätte er es längst getan. Seine riesigen Augen wirken sanft. Keine Spur von der stumpfen Leere, die ich erwartet habe. Nicht wie der starre, geistlose Blick des Hais.
    » Sprich mit ihm«, murmelt Galen wieder und verstärkt seinen Griff um meine Taille.
    Aber ich will mehr als das. Galen lässt mich aus seinen Armen gleiten, hält mich jedoch zur Sicherheit noch am Handgelenk fest. Mit meiner freien Hand berühre ich Goliaths Nase– oder zumindest die Umgebung seiner Nase. » Ich hatte Angst vor dir, weil ich dachte, du würdest uns fressen«, erzähle ich ihm. » Aber du wirst uns nicht fressen, nicht wahr?«
    Ich erwarte nicht, dass Goliath jetzt anfängt, mit französischem Akzent zu sprechen oder so. Aber ein kleiner Teil von mir erwartet irgendwie doch, dass er auf die eine oder andere Weise mit mir kommunizieren wird. Dennoch, die Art, wie er sich friedlich in der Strömung bewegt, spricht Bände. Er ist nicht angespannt oder regungslos wie eine Kobra, kurz bevor sie angreift. Er ist ruhig, neugierig, gelassen.
    » Hör zu. Wenn du verstehen kannst, was ich sage, dann möchte ich, dass du in diese Richtung wegschwimmst«, sage ich und deute nach rechts, » und dann hierher zurückkommst.« Goliath macht genau das, was ich ihm sage. Un-fass-bar.
    Mein neuer Freund folgt uns an die Oberfläche, als sich meine Lunge langsam wieder zuschnürt. Auf dem Weg nach oben deutet Galen auf verschiedene andere Fische. Er will sehen, ob sie alle mich verstehen. Als wir vorbeischwimmen, rufe ich meine Anweisungen: » Schwimmt in diese Richtung, schwimmt im Kreis. Schwimmt schnell, schwimmt langsam, schwimmt gerade nach unten.« Sie alle gehorchen.
    Als ich – und Goliath – Sauerstoff tanken, umgeben uns genügend Fische, um einen Swimmingpool von oben bis unten zu füllen. Einige springen aus dem Wasser. Andere knabbern an meinen Zehen. Wieder andere schwimmen durch meine Beine oder zwischen mir und Galen hindurch.
    Sie folgen uns bis zum Ufer. So viele Fische flitzen in das seichte Wasser, dass die Oberfläche aussieht, als würde Regen daraufprasseln. Wir sitzen am Strand und beobachten sie beim Spielen. Doch als die Seemöwen auf sie aufmerksam werden, siegt der Selbsterhaltungstrieb über ihre Neugier, und mein Fanklub schwindet.
    » Also«, sage ich und wende mich Galen zu.
    » Also«, antwortet er.
    » Du hast gesagt, ich sei außergewöhnlich. Wie außergewöhnlich bin ich denn nun?«
    Er holt Luft und stößt den Atem langsam wieder aus. » Sehr.«
    » Wie lange weißt du schon, dass ich ein Fischflüsterer bin?« Er kapiert meinen Scherz nicht. Aber zumindest versteht er meine Frage.
    » Erinnerst du dich, als ich dir erzählt habe, dass Dr. Milligan dich im Gulfarium gesehen hat?«
    Ich nicke. » Du hast gesagt, er hätte meine Augenfarbe bemerkt und gedacht, dass ich eine von euch bin.«
    Galen reibt sich den Nacken und will mir nicht in die Augen sehen. » Das ist so ziemlich die Wahrheit. Deine Augenfarbe ist ihm aufgefallen. Vor allem weil Syrena nicht mit Menschen verkehren sollten.« Er grinst. » Aber wirklich erstaunt hat es ihn, wie die Fische auf dich reagiert haben. Er hat gesagt, du hättest eine Art Unterhaltung mit ihnen geführt. Mit ihnen allen.«
    Also war es nicht bloß Einbildung. Kein Zufall. Ich habe mir eingeredet, die

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