Der Kuss des Meeres
Tiere wären darauf trainiert, freundlich zu den Besuchern zu sein. Aber habe ich denn nicht bemerkt, dass sie nicht zu allen freundlich gewesen sind? Habe ich nicht bemerkt, dass sie mich ausgewählt haben, dass sie ausschließlich mir ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben? Doch, ich habe es bemerkt. Ich wollte mir nur nicht eingestehen, dass es etwas bedeuten könnte. Warum sollte ich auch? Was bedeutet es denn? Und warum hat Galen mir das nicht schon früher erzählt? » Du hast mir das vorenthalten. Warum? Weiß Toraf es? Und Rayna? Und warum kann ich mit Fischen reden, Galen? Obwohl du es nicht kannst? Und wenn Dr. Milligan gesehen hat, dass ich es im Gulfarium gemacht habe, dann konnte ich es also schon, bevor ich mir den Kopf angeschlagen habe. Was bedeutet das? Was bedeutet das alles?«
Er lacht leise. » Welche Frage soll ich zuerst beantworten?«
» Warum hast du es mir vorenthalten?«
» Weil ich wollte, dass du dich langsam an die Tatsache gewöhnst, dass du nicht menschlich bist. Du musst zugeben, dass es ziemlich viel gewesen wäre, das alles gleichzeitig zu verdauen.«
Für eine Minute grübele ich darüber nach. Irgendetwas daran stimmt nicht so ganz, aber was soll ich darauf sagen? Er hat recht, selbst wenn er lügt. Ich nicke. » Schätze, das macht Sinn. Also, was ist mit Toraf und Rayna? Wissen sie Bescheid?«
» Toraf weiß es. Rayna nicht. Und übrigens, wenn du willst, dass sich etwas wie ein Mahlstrom verbreitet, erzähl es einfach Rayna.«
» Warum willst du nicht, dass sie anderen Syrena von mir erzählt?«
» Weil das, was du hast, eine Gabe der Generäle ist. Die Gabe Poseidons. So gesehen bist du mein Feind.«
Ich nicke, ohne zu verstehen. » Aha. Was?«
Er lacht. » Als die Generäle vor vielen Jahrtausenden ihren Friedensvertrag schlossen, haben sie Vorkehrungen getroffen, um das Überleben der Syrena sicherzustellen. Deshalb besitzt jedes Haus eine andere Gabe. Deine zeigt, dass du aus dem Haus Poseidon stammst.«
» Ist das der Grund, warum du mich aus dem Wasser schickst, wenn du jemanden in der Nähe spürst? Weil du in Schwierigkeiten kommen könntest, wenn du mit mir herumhängst?«
Er nickt nachdenklich. » Du könntest genauso in Schwierigkeiten geraten. Vergiss nicht, dass dein Haus am Ufer des Hoheitsgebietes von Triton liegt.«
Also sind wir Feinde. Die Schlacht in seinem Geist findet nicht zwischen Gut und Böse statt, sondern zwischen dem Haus Triton und dem Haus Poseidon. Was mir im Prinzip herzlich egal sein könnte. Aber ich kann nicht ändern, wer ich bin, und er kann es auch nicht. Wenn er mich nicht küssen will, weil ich von Poseidon abstamme, will ich das dann überhaupt? Yep, yep, yep, das will ich.
Nachdem ich beinahe wieder knallrot anlaufe, weil ich zu lange darüber nachgedacht habe, Galen zu küssen, beschließe ich, eine etwas neutralere Frage zu stellen, um mir die Hitze vom Leib zu halten. » Aber wie sichert das Reden mit den Fischen unser Überleben?« Habe ich gerade » unser« gesagt?
Galen räuspert sich. » Also… wer die Gabe Poseidons besitzt, kann sicherstellen, dass wir immer etwas zu essen haben.«
Ich schlucke die Galle, die mir auf der Stelle hochkommt, herunter und schüttele den Kopf. » Du meinst, dass ich mit den Fischen reden kann… um sie zu töten… und zu essen…«
Galen nickt. » Vielleicht wirst du deine Gabe dafür auch gar nicht nutzen müssen. Im Moment haben wir reichlich zu essen. Aber ich denke, die Generäle müssen vorhergesehen haben, dass die Menschen ihre Grenzen überschreiten und in die Gewässer vordringen würden. Ich denke, irgendwann einmal, vielleicht sogar schon in ein paar Jahrzehnten, werden wir die Gabe Poseidons brauchen, um uns zu ernähren.«
Ich hoffe, ich sehe nicht so übel aus, wie ich mich fühle. » Die Generäle hätten keinen schlechteren Kandidaten für diese Gabe wählen können!« Dass ich mir den Magen halte, hindert ihn nicht daran, verrücktzuspielen. Ich kann mir nicht vorstellen, mich mit Goliath anzufreunden und ihn dann zu den Syrena zu führen, damit sie ihn essen können. Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, Galen oder Toraf verhungern zu lassen. Wahrscheinlich nicht mal Rayna. Es wird Zeit, meine neuen Freunde mit der Welt von Pizza bekannt zu machen …
» Die Generäle sind tot, Emma. Sie haben dich nicht auserwählt. Es ist eine Gabe, die innerhalb eines Stammbaums weitergegeben wird. Dr. Milligan nennt es Genetik.«
Genetik bedeutet, dass meine Eltern nicht
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