Der Kuss des Meeres
mag sie.« Der gute Doktor hebt eine schmale, graue Augenbraue. Galen seufzt. » Zumindest ausreichend.«
» Hm, mehr kann man nicht verlangen, nehme ich an. Wollen wir dann?«
Galen nickt. » Emma, Dr. Milligan ist hier.«
Emma dreht sich um. Und erstarrt. » Sie!«, stößt sie mit erstickter Stimme hervor. » Sie sind Dr. Milligan?«
Der ältere Mann verneigt sich. » Ja, junge Dame, der bin ich. Dann erinnern Sie sich also an mich?«
Sie nickt und geht langsam auf die beiden zu, als wittere sie eine Falle. » Sie wollten mir eine Freikarte für die ganze Saison geben. Sie haben mich am Streichelbecken angesprochen.«
» Ja«, sagt er. » Natürlich habe ich Ihnen eine Saisonkarte angeboten. Wie könnte ich denn sonst Ihr faszinierendes Zusammenspiel mit den verschiedenen Arten studieren?«
Sie verschränkt die Arme. » Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich mit Fischen reden kann. Wie haben Sie es herausgefunden?«
» Zuerst wusste ich es nicht«, sagt er und überwindet die Distanz zwischen ihnen, bevor er sanft ihre Hand ergreift. » Aber als ich Ihre Augenfarbe sah, war mir klar, dass Sie eine Syrena sein müssen. Ich erinnerte mich daran, dass Galen mir von dieser Gabe erzählt hat, aber ich habe es nie geglaubt. Was dumm ist, nehme ich an. Ich meine, wenn ich an Meerjungfrauen glaube– ähm, entschuldige bitte, Galen, Syrena –, warum dann nicht auch an eine solche Gabe?«
» Und was denken Sie jetzt, Dr. Milligan?«, fragt Galen ein wenig beunruhigt über die Eröffnung, dass sein Freund gedacht hat, er habe gelogen. Außerdem war die Sache mit den » Meerjungfrauen« völlig überflüssig.
Dr. Milligan lacht leise und streichelt Emmas Hand. » Ich denke, ich nehme alles zurück, wie immer. Emma, wie wäre es mit einer privaten Führung?«
Sie nickt und die Aufregung tanzt in ihren Augen.
Sie folgen Dr. Milligan in den Flur und zu einer Treppe. Er führt sie zu jedem Ausstellungsstück und sprudelt Tatsachen und Statistiken zu jedem Tier herunter. Und jede einzelne Kreatur erinnert sich an Emma. Die Seelöwen nicken mit dem Kopf und machen ein Geräusch, das nur Emma charmant finden könnte. Die Otter machen das Gleiche. Selbst die Alligatoren reagieren auf ihr Kommando und drehen sich wie Synchronschwimmer im Kreis.
Der Doktor führt Galen und Emma schließlich in eine Ausstellung namens Dünenlagune . Er erklärt ihnen, dass es sich dabei um einen Schutzraum für verletzte Vögel handelt, die im Gulfarium versorgt werden. Emma geht umher, murmelt und spricht mit den geflügelten Geschöpfen. Aber keins von ihnen schert sich darum. Im Gegenteil scheinen sie viel aufgeregter zu sein, Dr. Milligan zu sehen. Eine Ente watschelt direkt an Emma vorbei und quakt Dr. Milligans Füße an. » Faszinierend«, findet er.
Emma lacht. » Es ist nichts Faszinierendes daran, zurückgewiesen zu werden.«
Dr. Milligan lächelt und holt einige braune Kügelchen aus seiner Tasche, die er vor der ungeduldigen Ente auf dem Boden verteilt. » Dieser Bursche weiß einfach über meine Leckerbissen Bescheid. Hören Sie, wie wäre es mit einem Besuch bei den Pinguinen?«
» Sind Pinguine nicht auch Vögel?«, fragt Emma. » Ich meine, ich weiß, sie können nicht fliegen oder so, aber sie sind doch trotzdem Vögel. Sie würden nicht auf meine Gabe reagieren, oder?«
Dr. Milligan nickt. » Wasservögel. Und es gibt nur eine Möglichkeit, es herauszufinden, nicht wahr?«
Die Pinguine lieben Emma. Sie watscheln umher, tauchen in ihrem Becken unter und wieder auf und rufen nach ihr. Sie lacht. » Sie klingen wie Esel!«
» Vielleicht können Sie auch mit Eseln reden«, lächelt Dr. Milligan.
Emma nickt. » Das kann ich. Manchmal ist Galen einer.«
» Das ist sehr verletzend, Emma«, sagt Galen und versucht, gekränkt zu wirken. Sie wirft ihm ein freches Grinsen zu.
Dr. Milligan lacht und führt sie zurück in den Flur. Durch die quadratischen Fenster, die die Innenwand durchsetzen, sind drei Delfine zu sehen, die mit ihnen Schritt halten. Sie kreischen Emma an, erpicht darauf, ihre Bekanntschaft zu machen. Neben dem Schild mit der Aufschrift DELFINSHOW deutet Dr. Milligan auf eine Treppe. » Wollen wir?«
Das obere Stockwerk ist eine offene Sonnenterrasse. Galen hat die Show schon einmal gesehen. Die hölzernen Tribünen stehen nah genug am Becken, dass die vordere Reihe nass wird. Was die in der Nase bohrenden Kleinen in Entzücken versetzt, vor allem wenn es im Sommer heiß ist. Galen ist froh,
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