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Der Kuss des Meeres

Der Kuss des Meeres

Titel: Der Kuss des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Banks
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wissenschaftliches Untersuchungsobjekt und Versuchstier missbrauchen, wenn sie davon erfahren. Was mich zur großen Frage führt, die immer noch im Raum steht, Dr. Milligan: Wie kommt es, dass es bis jetzt niemand herausgefunden hat?«
    Dr. Milligan seufzt. Er zieht ein Taschentuch hervor und wischt imaginären Nebel von seinen Brillengläsern. Seine Bewegungen sind so bedächtig, so pedantisch, dass sogar ich erkenne, dass er mich beruhigen möchte. » Emma, meine Liebe, im Gegensatz zu Galen kennen Sie mich noch nicht besonders lange. Doch ich betrachte Sie als meine Freundin und hoffe, dass auch Sie einen Freund in mir erkennen. Wenn wir also Freunde sind, kann ich ehrlich zu Ihnen sein, richtig?«
    Ich nicke und kaue auf meiner Unterlippe, als sei sie mit Käsekuchen gefüllt.
    Dr. Milligan lächelt auf eine allgemeine, verbindliche Art. » Gut. Also dann. Ich glaube, dass Ihr Vater von Anfang an von Ihrer Besonderheit wusste.«
    Sofort kommen mir die Tränen, und ich weiß nicht, warum. Galen wendet den Blick ab.
    » Das ist nicht möglich«, flüstere ich. » Es ist einfach nicht möglich. Meine Mom hat immer erkannt, wenn er etwas verbergen wollte. Sie ist der reinste Lügenspürhund.«
    » Ich bin mir sicher, dass sie ebenfalls darüber Bescheid weiß«, seufzt Dr. Milligan. » Wie Sie schon gesagt haben, Sie sind eine medizinische Anomalie «,fährt er fort, obwohl ich mit den Lippen das Wort » Missgeburt« forme. » Ich habe selbst keine Kinder, aber wenn ich welche hätte, würde ich das auch nicht öffentlich machen wollen. Wissenschaftler von überall auf der Welt hätten Ihre Familie verfolgt und darum gebettelt, einige Untersuchungen durchführen zu dürfen. Ihr Leben wäre das reinste Chaos gewesen. Ihr Vater wusste das.«
    Ich hole tief Luft. » Ich schätze, das könnte wahr sein. Aber die Sache ist die– wenn sie nicht meine Eltern sind, woher stamme ich dann?«
    » Können Sie Ihre Mutter nicht einfach fragen?«, schlägt Dr. Milligan vor.
    » Sie würde mich in ein Irrenhaus einweisen lassen. Nein, warten Sie. Sie würde mir ins Gesicht lachen und mich dann einweisen lassen.« Sofort kochen Erinnerungen an den Tag hoch, an dem ich fast ertrunken wäre, und lassen die Worte in meinem Mund ranzig schmecken. Wie ich auf ihren Schoß gekrochen bin. Voller Vertrauen und Zuversicht. Wie ich ihr von den Seewölfen erzählt habe. Wie sie so heftig gelacht hat, dass sie keine Luft mehr bekam. Da ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass ich mich meiner Mutter nicht anvertrauen kann.
    Dr. Milligan nickt. » Aber Sie brauchen nicht zu sagen, dass Sie eine Syrena sind, oder? Das weiß sie vielleicht gar nicht. Sie weiß vielleicht nur, dass Sie anders sind.«
    » Ich schätze, da ist was dran«, antworte ich zweifelnd. Wenn sie über mich Bescheid wüsste, über meine Gabe, hätte sie mich vor all den Jahren nicht ausgelacht. Sie hätte mich getröstet und mir an Ort und Stelle gesagt, was ich bin. Oder etwa nicht? Plötzlich bin ich zu überwältigt, um klar zu denken. Meine Welt zerbricht immer wieder aufs Neue und setzt sich wieder neu zusammen. Jedes Mal entsteht ein neues Mosaik der Wirklichkeit. Vielleicht gehöre ich doch in ein Irrenhaus.
    Ich hüpfe vom Untersuchungstisch und klatsche mit den nackten Füßen aufs Linoleum. » Ich bin bereit, nach Hause zu gehen«, sage ich zu niemand Bestimmtem. Ich ersticke beinahe an dem Wort » nach Hause«. Es fühlt sich fremd auf meiner Zunge an, als hätte ich es gerade erfunden. Als existiere es gar nicht. » Sie sind mit Ihren Untersuchungen fertig, oder, Dr. Milligan?«
    Er steht auf und streckt mir die Hand hin. » Ja. Ich werde nicht länger an Ihnen herumpiksen, meine Liebe.« Jetzt hat sein Lächeln nichts Allgemeinverbindliches mehr. » Es war mir ein echtes Vergnügen, Sie kennenzulernen, junge Dame.«
    Aber ich bin mit meinen Kleidern unter dem Arm bereits im Flur.

20
    Galen schiebt sich an sein Pult. Es verunsichert ihn, dass der breitschultrige blonde Junge, der mit Emma redet, lässig den Arm auf die Rückenlehne ihres Stuhls legt.
    » Guten Morgen«, sagt Galen und beugt sich hinüber, um sie in die Arme zu nehmen. Dabei zieht er sie fast vom Stuhl. Um das Maß vollzumachen, schmiegt er auch noch seine Wange an ihre. » Guten Morgen… ähm, Mark, nicht wahr?«, fragt er, darauf bedacht, dass seine Stimme freundlich klingt. Trotzdem wirft er einen vielsagenden Blick auf Marks Arm, der immer noch über der Rückenlehne von Emmas Stuhl

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