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Der Kuss des Meeres

Der Kuss des Meeres

Titel: Der Kuss des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Banks
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Menschenarzt, Sie sind doch Tierarzt, oder? Sie könnten sich irren.«
    Galen wirkt kribbelig und rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Obwohl Metall und Polyester nicht gerade zur Behaglichkeit beitragen, habe ich den Eindruck, dass es meine Frage ist, die ihn zappelig macht, und kein körperliches Unbehagen.
    Dr. Milligan zieht den Rollhocker zu der Stelle, an der ich auf dem Untersuchungstisch sitze. Instinktiv beuge ich mich zu ihm vor und zerknittere die dünne Papierschicht, die mich von dem Vinyl trennt. Er tätschelt meine Hand. » Emma, meine Liebe, es ist ganz natürlich, dass Sie so empfinden. Und Sie haben recht. Ich bin definitiv kein Menschenarzt, so wie Ihr Dad es war. Aber um die Unterschiede zwischen meinem Röntgenbild, Galens Röntgenbild und Ihrem zu erkennen, ist auch keiner nötig.« Zur Betonung neigt er den Kopf zur Wand hinüber, an der unsere Knochen auf dem Bildschirm leuchten. Dann stutzt er. » Gütiger Himmel.« Er springt auf die Füße und der Metallhocker kippt hinter ihm um.
    Galen und ich beobachten, wie Dr. Milligan die Bilder neu ordnet: Dr. Milligans eigene Röntgenbilder, meine, dann Galens. » Ist das wirklich möglich?«, fragt er schließlich und späht über den Rand seiner Brillengläser zu uns herüber, während sich seine Augenbrauen vor Anspannung zusammenziehen wie zwei Raupen, die sich küssen.
    Galen steht auf und verschränkt die Arme, während er den Kopf in Richtung des erleuchteten Bildschirms neigt. » Ich schätze, ich kann Ihnen nicht folgen, Dr. Milligan. Was sehen Sie?«
    Dr. Milligan sieht mich an und seine Aufregung lässt ihn um Jahre jünger erscheinen. Ich schüttele den Kopf, außerstande, irgendetwas Sinnvolles von mir zu geben. Dr. Milligan zögert nicht länger. » Das erste Bild, meines, ist das eines Menschen. Das letzte, Galens, ist das eines Syrena. Das hier in der Mitte ist Emmas. Es ist offensichtlich. So offensichtlich, dass ich mich schäme, weil ich es erst jetzt sehe. Sie ist definitiv nicht menschlich. Aber sie ist auch keine Syrena.«
    Es gefällt mir gar nicht, wie das klingt. Dr. Milligan denkt wohl, dass er sich klar genug ausgedrückt hat; er sieht uns beide an, als würden wir ein Geschenk auspacken, das er uns unter den Weihnachtsbaum gelegt hat. Er kann unsere Reaktion kaum erwarten.
    Galen rettet uns. » Dr. Milligan, Sie wissen, dass ich bei solchen Dingen ziemlich schwer von Begriff bin. Könnten Sie es mir zuliebe noch einmal idiotensicher erklären?«
    Ich mag es nicht, wenn Galen mich beeindruckt. Kaum habe ich ihn insgeheim als versnobtes Königskind abgestempelt, kommt er ganz bescheiden daher, und ich kann wieder von vorne anfangen.
    Dr. Milligan lacht leise. » Natürlich, mein Junge. Emma ist weder ein Mensch noch eine Syrena. Sie scheint beides zu sein. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das überhaupt möglich ist. Die DNA der Syrena ist ganz anders als die menschliche DNA .«
    Galen weicht zurück und setzt sich wieder hin. Ich würde das Gleiche tun, aber ich sitze ja schon. Wir beäugen den Leuchtkasten mit finsterer Miene. Mein Blick muss jetzt genauso stur sein wie der von Galen normalerweise. Dann sehe ich es. Die drei scharfen Bilder vermischen sich zu einem einzigen unscharfen. Menschliche Knochen und Syrena-Knochen verschmelzen miteinander, bis nur noch ein Bild auf dem Schirm ist: meins. Eine Kombination aus den beiden anderen.
    » Es ist möglich«, sagt Galen leise.
    Dr. Milligan lehnt sich an die Wand und glüht vor Neugier. » Das hat es schon früher gegeben«, sagt er und verschränkt die Finger, wahrscheinlich um nicht herumzufuchteln. » Du hast davon gehört, nicht wahr?«
    Galen nickt. Er dreht sich zu mir um. » Das war der Hauptgrund für den Großen Krieg. Der Grund, warum wir zwei Hoheitsgebiete haben«, erklärt er mir. » Vor Tausenden von Jahren hat Poseidon beschlossen, zusammen mit den Menschen an Land zu leben. Es war damals nicht verboten, wurde aber nicht gern gesehen. Die Menschen huldigten ihm als einem ihrer Götter, opferten ihm Tiere und stellten lächerlich geschönte Statuen von ihm auf. Sie bauten sogar eine Stadt für ihn und die Syrena, die mit ihm ans Festland gekommen waren. Tartessos nannten sie die Stadt.«
    » Atlantis?«, haucht Dr. Milligan, eine Hand auf der Brust.
    Galen nickt. » So nannten einige Menschen die Stadt am Anfang.« Er dreht sich wieder zu mir um. » Poseidon genoss es, mit den Menschen zu leben. Gestattete seinen Anhängern, sich mit ihnen zu verbinden.

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