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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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erinnerte mich an den Abend, als Nathan mich verlassen und ich Nele gesagt hatte, dass ich nie mehr Klavier spielen würde.
    »Was hat er dir wohl von uns erzählt?«, fragte er vermeintlich gleichmütig, nachlässig, während er sich von dem Hocker erhob. »Von uns Awwim, den Schlangensöhnen? Von den ach so bösen Nephilim, die die ach so armen Menschen unterwerfen wollen? Und von seiner edlen Mission, uns aufzuhalten und sich, sobald wir ausgerottet sind, selbst zu vernichten?«
    Mit jedem Wort schienen seine Abscheu und Verachtung für Nathan zu wachsen. Sein Gesicht war mir immer maskenhaft erschienen – eine große, schlaffe Maske. Jetzt schien sie zu schrumpfen, sich viel zu fest über sein Gesicht zu spannen. Sie ließ keine Mimik mehr zu, nur Hass, der alles verzerrte. »Ich bin das Ungeheuer – und er der Held, wir die Widersacher – und sie die Retter«, fuhr er fort. »So stellen sie es seit Urzeiten dar. Aber das ist ihre Sicht … Nathans Sicht der Dinge. Es gibt auch eine andere. Willst du sie hören?«
    »Habe ich denn eine andere Wahl?«, entfuhr es mir.
    Wieder lachte er auf. Seine Züge entspannten sich ein wenig, als er auf das weiße Ledersofa deutete. »Setz dich!«, forderte er mich auf. »Es wird eine Weile dauern. Was kann ich dir anbieten?«
    Er klang wie der perfekte Gastgeber. Erst jetzt merkte ich, dass ich meine Arme schützend vor der Brust verschränkt hatte. Ich hatte sie so fest an mich gepresst, dass sie kribbelten, als ich sie senkte. Mit zitternden Beinen ging ich auf das weiße Ledersofa zu. Die Abscheu vor ihm hatte etwas nachgelassen – stattdessen packte mich die Angst um Aurora. Auch wenn Caspar es auf mich abgesehen hatte, nicht auf sie, so würde er dennoch keine Gelegenheit ungenutzt lassen, sie in seine Gewalt zu bringen. Was war in der Zwischenzeit zu Hause geschehen? Hatten Nathan und Cara alle Angreifer zurückschlagen können?
    Immerhin – so viel wusste ich – war Caspar ihr stärkster und gefährlichster Gegner, und solange er hier mit mir zusammensaß, konnte er meiner Tochter nichts tun. Cara und Nathan hatten genügend Zeit, sie in Sicherheit zu bringen – wohin auch immer.
    »Also – was kann ich dir anbieten?«
    »Ich will nichts«, murmelte ich.
    »Schade«, meinte er. Seine Zungenspitze schnellte hervor, leckte über seine Lippen. War er hungrig? Nach Menschenfleisch?
    Meine Beine zitterten stärker, als ich das Sofa erreichte, mich langsam setzte. Das Leder fühlte sich glatt und kalt an, als ich meine Hände auf den Bezug presste.
    Er leckte sich nicht länger die Lippen, schien aber dem Thema Essen und Trinken noch nachzuhängen. »Ich bin jederzeit auf Gäste vorbereitet«, erklärte er. »Du weißt doch, dass ich Seminare für Manager und Politiker anbiete. Und ihre Wünsche sind immer erfüllt worden.«
    Ich wusste nichts darauf zu sagen, aber dann dachte ich wieder an Aurora und dass es besser war, ihn so lange wie möglich in ein Gespräch zu verwickeln, ihn abzulenken.
    »Ich dachte, diese Seminare sind nur ein Vorwand, damit du hier unbehelligt leben kannst und niemand Fragen stellt, was du eigentlich machst. Wenn du die Menschen als Pack bezeichnest, willst du gewiss nichts mit ihnen zu tun haben und sie freiwillig bewirten.«
    Er nahm mir gegenüber Platz. Der Glastisch stand zwischen uns, eine leicht zu überwindende, aber doch sichtbare Grenze, die mir etwas Sicherheit gab. Ich lehnte mich zurück, meine Hände entkrampften sich ein wenig.
    »Das stimmt«, begann er gedehnt, während er seine Hände auf seine Beine legte, »Menschen sind Pack. Aber es gibt Ausnahmen, und damit meine ich nicht nur Auserwählte wie dich. Nathan behauptet, wir Schlangensöhne würden die Menschen knechten, sie uns unterwerfen, sie gnadenlos ausbeuten. Er hat damit nicht unrecht und trifft doch nicht die ganze Wahrheit. Die dummen, unfähigen, faulen, hässlichen, dreisten, zügellosen Menschen, all der Abschaum, der zu nichts nutze ist –, diese Leute können doch froh sein, uns zu dienen, wenn wir sie denn überhaupt am Leben lassen! Was würden sie denn anderes tun, als sich gegenseitig totzuschlagen oder sich träge fett zu fressen, wenn es niemanden gibt, der ihnen Befehle erteilt? Aber nicht alle Menschen sind gleich. Es gibt ein paar kluge Köpfe, die begreifen, wie die Welt funktioniert. Wenn sie bereit sind, sich belehren zu lassen, können sie viel von uns lernen. Nathan würde behaupten, dass dies die Menschen sind, die der Gier verfallen sind,

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