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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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ließ, die mich lähmte. Seine Worte waren es, die dünne Fäden spannen. Kaum fühlbar legten sie sich um mich, einem Spinnennetz gleich, das so grausam und tödlich war und zugleich so kunstvoll und so schön, wenn es in der Sonne glitzerte.
    »Schau dich um!«, forderte er mich nunmehr flüsternd auf. »Sieh dir mein Haus an, wie es erbaut, wie es eingerichtet ist! Ich habe an nichts gespart. Was für den Menschen das Allerfeinste ist – ist für mich gerade gut genug. Ich bin keine Bestie, kein blutgieriger Mörder, kein gnadenloses Raubtier. Ich bin ein Wesen, das schöne Dinge liebt und sich gern damit umgibt. Ich will dem Menschenpack nicht Übles. Nur stören soll es mich nicht und mir nicht in die Quere kommen, wenn ich mir die Fähigsten unter ihnen erwähle und mit ihnen Geschäfte mache.«
    Er machte eine Pause, rutschte kaum merklich von der Lehne, kam nun neben mir zu sitzen. Die Distanz zwischen unseren Körpern schrumpfte auf eine Handbreite. »Dieser Kampf, für den ich mich seit Jahren rüste … der Kampf um dich und um Aurora – ich hätte gern darauf verzichtet! Nathan hat gewusst, dass ich dich zuerst entdeckt habe, doch anstatt sich einfach fernzuhalten, mir den Vortritt zu gewähren, hat er sein Cello genommen, sich im Mozarteum eingeschlichen und darauf gewartet, dass du vorbeikommst. Er hat dich doch nur gewollt, weil ich dich noch vor ihm begehrte, weil es für ihn ein Wettstreit war, dich mir abzuluchsen, weil er sich und mir beweisen wollte, dass er im Kampf um dein Herz der Bessere ist. Das mag so sein. Er ist ansehnlicher, einnehmender, menschlicher als ich. Doch eins hätte ich dir damals schon versprechen können: Mich zu lieben und von mir ein Kind zu bekommen, hätte dir bei weitem nicht so viel Qual gebracht, so viel Enttäuschung, so viel Einsamkeit. Und es ist nicht zu spät. Es ist mir egal, was geschehen ist und wie sehr du ihn geliebt hast. Es ist mir egal, dass er Auroras Vater ist. Ich werde sie zu meinem Kind machen – und sie wird meines sein, ohne Einschränkung, ohne Halbheiten.«
    Das Spinnennetz zog sich immer dichter um mich; ich konnte kaum atmen, spürte keine Kälte mehr – war ich längst gelähmt von seinem Gift? Es schien mir, als könne ich mich nicht mehr bewegen, aber in meinem Inneren tobte es: Mein Herz schlug unrhythmisch bis zum Hals und schien zugleich in meinem Magen zu vibrieren. Ich wusste, nicht mehr lange, und er würde den letzten Abstand überwunden haben, würde seine langen Finger über mein Gesicht, über meinen Körper wandern lassen. Unerträglich war die Vorstellung, doch eben weil sie so jenseits aller erlebten Empfindungen lag und sich mit nichts vergleichen ließ, auch erregend. Ich fürchtete mich davor, wappnete mich – und sehnte sie zugleich herbei, damit ich endlich wusste, wie es sich anfühlte, von ihm berührt zu werden. Würde ich erfrieren? Würde ich verbrennen? Alles erschien mir möglich; alle Gegensätze könnten sich vereinen: Ekel und Lust, Abscheu und Gier, das Bedürfnis, ihn wegzustoßen und das Bedürfnis, ihn zu halten, ihm mich erbittert zu verweigern und ihm zugleich zu geben, wonach er sich so sehr verzehrte. Mich.
    Doch er kam nicht näher, legte seinen Kopf vielmehr auf die Lehne. »Du hast Nathan doch erlebt«, sagte er mit auf die Decke gerichtetem Blick, »er hadert, trieft vor Selbstmitleid und Melancholie, wähnt sich immer auf der Flucht. Er möchte Musik machen, aber er darf es nicht, weil seine einzige Daseinsberechtigung eine andere ist. Ich leugne nicht, dass auch ich mich gejagt fühle – doch immer nur von meinen Feinden, nicht von dem, was in mir ist. Nathan graut es vor sich selbst – mir nicht, und nun sag ehrlich: Wer von uns beiden ist glücklicher? Wer von uns hat Frieden mit seinem Schicksal geschlossen?«
    Er hob den Kopf wieder, blickte mich an. Kurz schienen mir seine Augen nicht dunkel zu sein, sondern es schimmerte ein wenig Farbe hindurch. Ich wusste nicht, welche, ob braun, grün oder blau, nur, dass mich etwas in diesem Blick an Nathan erinnerte – genauso wie viele seiner Worte. Er mochte eben den großen Unterschied zwischen ihnen heraufbeschwören, aber etwas lag in seiner Stimme, was sie nicht zu Erzfeinden machte, sondern zu Brüdern im Geiste: etwas Sehnsuchtsvolles und Verzweifeltes zugleich.
    »Du willst dich an ihm rächen«, stammelte ich. »Nur das treibt dich. Ich weiß von … Serafina … und dem Kind.«
    Er verkrampfte sich, als ihr Name fiel, doch er fand schon

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