Der Kuss des Morgenlichts
länger an. Jetzt suchte ich den Raum fieberhaft mit meinen Augen ab, suchte irgendetwas, womit ich ihn bedrohen, auf ihn einschlagen konnte.
Doch diese Idee war ebenso lächerlich wie der Gedanke an Flucht. Caspar war so viel stärker als ich, würde ich die Hand gegen ihn erheben, wäre ich sofort tot. Wie würde er mich töten? Mir die Kehle durchschneiden und mich verbluten lassen? Mich mit seinem Schwert enthaupten? Er trug es nicht am Körper, aber ich war mir sicher, dass es hier irgendwo in diesem nüchternen Raum versteckt war und er es blitzschnell hervorziehen konnte. Vielleicht brauchte er sein Schwert aber auch gar nicht; vielleicht würde er mir das Herz mit bloßen Händen aus der Brust reißen … ja, das war sogar das Wahrscheinlichste, weil er damit zugleich Nathans Herz brechen konnte.
Doch Caspar kam mir immer noch nicht nahe, blieb stattdessen mitten im Raum stehen.
»Hab keine Angst vor mir!« Seine Stimme klang metallisch zischend wie immer, aber irgendetwas lag darin, das mich beruhigte, mich lähmte. Ich konnte mich dagegen ebenso wenig wehren wie vorhin gegen den scharfen Geruch, der mich hatte ohnmächtig werden lassen.
»Du willst mich töten«, sagte ich ruhig. Ich empfand keine Angst. Doch mein Herz stockte schon bei seinen nächsten Worten – Worte, mit denen ich nicht rechnete und die ich nicht verstand.
»Ich werde dich doch nicht töten«, erwiderte er entrüstet. »Undenkbar ist das. Dazu liebe ich dich zu sehr.«
Ich starrte ihn fassungslos an. Ich hatte seine Worte zwar gehört, aber ich konnte es nicht glauben. Lieben? Hatte er gesagt, dass er mich liebt?
Es schien mir unvorstellbar, dass es in seiner Sprache diese Worte gab – und dass sie dasselbe ausdrückten wie in meiner. Caspar konnte mich nicht lieben. Caspar war auf Rache aus.
Langsam wandte er sich von mir ab, trat zu dem weißen Klavier und öffnete den Deckel. Dann begann er zögernd, ein paar hohe Töne zu spielen.
Wenn es auch seine Worte nicht vermochten, so beruhigten mich diese zwar unerwarteten, aber tief vertrauten Klänge um so mehr. Ich konnte gar nicht anders, als mich zu entspannen. Inmitten dieser fremden, gefährlichen Welt schien sich ein schützender Raum aufzutun, in dem ich sicher stehen und frei atmen konnte.
Er setzte sich – während er spielte – auf den Hocker, nahm die zweite Hand hinzu, spielte nun nicht mehr wahllos Töne, sondern eine schlichte Melodie. Ich starrte auf seine Hände. So fassungslos, wie ich seinem Geständnis gelauscht hatte, lauschte ich jetzt diesen Klängen – keine meisterhaften, keine magischen, aber doch eine Wohltat nach all dem tosenden Lärm des Kampfes.
Plötzlich verstummte die Melodie. »Ich bin kein Musiker so wie Nathan«, sagte er, »dennoch habe ich dich als Erster entdeckt … «
Das Klavier schien auf seine Stimme abgefärbt zu haben. Nicht mehr unangenehm klang sie in meinen Ohren, sondern tiefer, voluminöser, harmonischer.
»Wann?«, stammelte ich. »Wie?«
Er blieb auf dem Hocker sitzen, drehte sich zu mir herum. »Ich habe dich damals in Salzburg gesehen, und ich wusste sofort, dass du eine der Auserwählten bist … eine der wenigen Menschen, die sich vom übrigen Pack unterscheiden. Schöner warst du als der Rest, begabter, klüger, edler, kostbarer. Es gibt nicht viele Menschenfrauen, mit denen wir uns einlassen, aber du bist eine von ihnen. Aurora hätte unser Kind sein können … hätte unser Kind sein müssen.«
Seine linke Hand fuhr wieder zum Klavier, klimperte wieder, nicht länger melodisch. Ich ließ meinen Blick über seine Gestalt gleiten. Jetzt empfand ich keine Angst mehr, sondern Abscheu und Faszination zugleich. Schon damals, bei unserer ersten Begegnung vor der Villa, war ich trotz allem Unbehagen auf eine sonderbare Weise von ihm beeindruckt gewesen, und so erging es mir auch jetzt. Nichts Schönes, nichts Einnehmendes war an ihm, aber etwas Machtvolles, etwas, was den ganzen Raum erfüllte.
»Ich weiß, was du gerade denkst«, sagte er und lachte kalt. »Du vergleichst mich mit Nathan. Mit diesem genialen Cellisten. Diesem schönen Mann. Ich hingegen … ich bin für dich nicht bloß ein Stümper am Klavier, sondern eine Ausgeburt des Bösen. Du glaubst, dass du mich niemals hättest so lieben können wie ihn, stellst es dir vielmehr als etwas Grauenhaftes vor, in meiner Nähe zu sein … mein Kind zu empfangen.«
Mit einem lauten Knall, der mich zusammenschrecken ließ, schlug er das Klavier zu. Das Geräusch
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