Der Kuss des Morgenlichts
geheucheltem Bedauern hinzu.
Wie leichtsinnig vor allem von mir, das Haus zu verlassen und darauf zu setzen, dass Cara selbst noch in dieser Entfernung seine Präsenz wittern konnte!
Vielleicht tat sie das auch – aber es war längst zu spät, um einzugreifen.
Er trat an mich heran, seine Hand berührte nun fast meine Haut. Ich drückte mich gegen das Auto, konnte aber nicht weiter zurückweichen und war mir sicher, gleich seine Berührung zu spüren, diese dünnen Spinnenfinger, die mein Gesicht streicheln würden. Doch dann sah ich, dass er etwas in der Hand hielt, etwas Weiches, Weißes. Ein scharfer Geruch stieg mir in die Nase, schien meine Schleimhäute zu verätzen; ich rang röchelnd nach Atem. Dann sank ich ohnmächtig in seine Arme.
IX .
Ich lag auf dem Grund eines Brunnens, tief und schwarz, feucht und kalt, und dann ganz schwach, von weither fiel ein Lichtstrahl auf mich. Einen langen Weg musste er durch die schwarze Enge zurücklegen, ehe er mich erreichen, meinen Körper liebkosen, langsam meine Haut zum Leben erwecken konnte.
Sonne …
Ja, ich war mir sicher, dass die Sonne mich blendete, dass sie auf meine geschlossenen Lider fiel, von Minute zu Minute gleißender, aber als ich die Augen aufschlug, mich von der Lichtquelle abwandte, blickte ich nicht in den blauen Himmel, sondern auf eine weiße Wand. Suchend drehte ich mich wieder zurück zur Sonne, doch sie war verschwunden, und stattdessen starrte ich auf eine ebenso weiße Decke. Ich fühlte nichts, weder dröhnte mein Kopf, noch rebellierte mein Magen oder brannte meine Kehle. Es war, als würde ich nicht länger auf dem feuchten Boden eines kalten, finsteren Brunnens liegen, sondern in weiche Watte gehüllt sein. Zumindest fühlte sich der Boden unter mir, den ich nun vorsichtig ertastete, flauschig an. Nein … keine Watte … eher Fell.
Ich schloss die Augen kurz, öffnete sie wieder, drehte nun meinen Kopf mühsam auf die andere Seite. Dort war keine weiße Wand, sondern riesige, mich spiegelnde Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten und den Blick auf den farblosen Himmel preisgaben. Weit und breit keine tröstende, wärmende Sonne … nur Weiß.
Jetzt, beim Anblick der bodentiefen Fenster, wusste ich, wo ich war. Ich kämpfte darum, mich aufzurichten, keuchte angestrengt. Als ich endlich saß, spürte ich ein Ziehen im Magen und ein Stechen im Nacken.
Weiß. Immer noch war alles weiß: der niedrige Couchtisch, das Sofa aus weißem Leder, ein Klavier. Doch inmitten des ganzen Weiß gab es etwas Schwarzes, das langsam, ganz langsam schärfer wurde und an Kontur gewann. Caspar. Er saß ganz ruhig auf dem Ledersofa, die Beine überkreuzt, die schmalen, langen Hände in seinen Schoß gelegt.
Ich sprang auf. Es war, als würde sich ein Pfeil in mein Hirn bohren. Die Bewegung war zu schnell gewesen. Ich versteifte mich, nicht nur, um dem Schmerz Einhalt zu gebieten, sondern weil ich instinktiv erwartete, dass ich nicht lange aufrecht würde stehen dürfen, dass jemand mich packen, mich auf den Boden drücken, sich auf mich werfen, mich schlagen … würgen würde … Nicht irgendjemand, sondern Caspar …
Doch Caspar saß weiterhin ruhig vor mir und machte keine Anstalten, aufzustehen. Ich konnte mich frei bewegen – zumindest in diesem weißen Raum.
»Es tut mir leid«, erklärte er unvermittelt.
»Was?« Meine Zunge war trocken und schlug gegen meine Zähne.
»Dass ich dir so viel Unannehmlichkeiten bereiten musste.«
Ich konnte den Klang seiner Stimme nicht deuten. Und war es purer Hohn, dass er sich so gewählt ausdrückte? Oder meinte er es ernst?
Nein. Ganz sicher nicht. Nathan hatte Serafina getötet, Caspars große Liebe. Nun würde Caspar aus Rache mich töten. Das war der Plan gewesen, und sein Interesse an Aurora war nur geheuchelt, nur ein Vorwand, um Cara und Nathan zu überlisten.
Jetzt endlich stand er auf, doch seine Schritte waren zögerlich. Ich stand wie erstarrt, aber er kam nicht auf mich zu, sondern zog weite Kreise um mich herum. Ich ließ ihn nicht aus den Augen, wusste, dass diese Langsamkeit nur inszeniert war, dass er zu ungleich schnelleren, wendigeren Bewegungen fähig war und dass ich ihm nicht entrinnen konnte. Doch so hoffnungslos es auch war, überlegte ich dennoch fieberhaft, wie ich aus diesem Raum fliehen konnte. Die Tür – ich sah sie nun hinter Caspar –, war an die zehn Schritte entfernt. Bei den Fenstern würde ich schneller sein, aber waren sie zu öffnen? Ich sah Caspar nicht
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